Wenn du Vitamin C gegen Erkältungen einnimmst, fällst du auf einen Scam aus der Nazizeit rein. Die Nationalsozialisten waren von der Wirkung von zusätzlichem Vitamin C so sehr überzeugt, dass sie ihren Wehrmachtssoldaten Vitamin-Bonbons, sogenannte V-Drops, gaben.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges errechnete die Wehrmacht, dass sie ungefähr anderthalb Tonnen Vitamin C pro Monat braucht. Das waren bei circa 3,7 Millionen Soldaten etwa 2,5 Gramm pro Kopf. 1944 bestellte die Wehrmacht circa 200 Tonnen Vitamin C. Einer der Hauptlieferanten war die Pharmafirma Roche aus dem schweizerischen Basel.
Heute nehmen in Deutschland drei von vier Menschen Nahrungsergänzungsmittel ein und auch die Zahl der deutschen Hersteller steigt. Sie produzierten 2023 über 200.000 Tonnen. Am erfolgreichsten nach Vitamin D sind Vitamin-C-Präparate mit 34 Prozent Marktanteil. Vitamin C genießt so großes Vertrauen, dass viele Hersteller es ihren Mitteln gegen Kopfschmerzen und Fieber zusetzen.
Dabei glaubte die Firma Roche Anfang der Dreißigerjahre selbst nicht an einen Verkaufserfolg ihres neu entwickelten Vitamin-C-Präparats. Und bis heute zeigt eine Studie nach der nächsten, dass zusätzlich eingenommenes Vitamin C Erkältungen nicht verhindern kann. Warum spricht sich das nicht rum? Und was hat die Propaganda aus der Nazizeit damit zu tun?
Warum die Nazis auf Vitaminpillen setzten
Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und ab 1943 Reichsinnenminister, war ein Fan von esoterischen Ideen rund um Ernährung und schwor auf Naturheilkunde. Im Konzentrationslager Dachau organisierte er ein Forschungsprojekt zu Vitamin C mit Hingerichteten, denen er zuvor Vitamin C verabreicht hatte. Dabei sollte vor allem die Frage beantwortet werden, wie hoch der Vitaminbedarf eines Menschen ist.
Nach Ansicht der Nazis hatte Deutschland auch deshalb den Ersten Weltkrieg verloren, weil die Bevölkerung durch Mangelernährung geschwächt gewesen war. Ein zweites Mal sollte das nicht passieren. Das NS-Regime verteilte deshalb Vitaminpräparate: an Mütter, an Kinder, an Arbeiter:innen in der Rüstungsindustrie und an Soldaten.
Ende der Dreißigerjahre verbreiteten Organisationen wie die Reichsarbeitsgemeinschaft für Volksernährung Slogans wie „Hausfrau, verwerte die Hagebutte!“. Lokale, vitaminreiche Früchte sollten zu Brotaufstrich werden.
Als die Firma Roche Anfang der Dreißigerjahre ihr künstliches Vitamin C auf den Markt brachte, wollte es zuerst niemand kaufen. Wozu es gut sein sollte, war den Menschen nicht klar. Die schwere Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut war kein Thema mehr. Also musste eine Werbestrategie her. Sie sah so aus: Ärzt:innen sollten einen vermeintlichen Vitamin-Mangel im Urin diagnostizieren. Das Ziel war, „den Patienten eine neue Krankheit anzudichten“, wie es in der Marketingstrategie des Unternehmens heißt. Roche nannte sie: C-Hypovitaminose.
Vitamin C ist bei Erkältungen ziemlich nutzlos
C-Hypovitaminose ist eine Krankheit, die es nicht gibt. Trotzdem hält sich die Annahme, Vitamin C würde vielen Menschen fehlen, selbst, wenn sie sich ausgewogen ernähren. 15 Prozent vermuten, dass sie einen Vitamin-C-Mangel haben. Das ergab eine Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2021. Viele Menschen nehmen Vitaminpräparate, weil sie glauben, damit Krankheiten abwenden zu können. Die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln steigt seit Jahren. 2023 machten Apotheken damit einen Umsatz von über 3 Milliarden Euro.
Das sind die Hauptquellen für Vitamin C. | Bundesinstitut für Risikobewertung
Fakt ist aber: Zusätzliches Vitamin C stärkt nicht das Immunsystem. Zumindest gibt es dafür keinen Nachweis. Denn selbst hohe Dosen von Vitamin C können Erkältungen nicht verhindern. Das zeigen Studien an mehr als 11.000 Probanden. Vitamin C war dabei nicht wirksamer gegen Erkältungen als ein Scheinmedikament. Es kann lediglich die Krankheitsdauer etwas verkürzen. Der Effekt ist jedoch klein: Dauert eine Erkältung durchschnittlich sieben Tage, verkürzt sie sich auf sechs bis sechseinhalb. Für diesen Effekt mussten die Studienteilnehmer:innen aber jahrelang Vitaminpillen schlucken.
Was auch nicht hilft, den Vitamin-C-Mythos zu bekämpfen: Hersteller von Vitamin-C-Präparaten dürfen sogenannte Health Claims, also gesundheitsbezogene Aussagen, auf ihre Verpackungen schreiben, wie zum Beispiel: „Vitamin C trägt zur normalen Funktion des Immunsystems bei.“ Um diese Aussagen gibt es schon jahrelang Streit zwischen Herstellern, Justiz und Lebensmittelbehörden.
Nimmt man zu viele Vitamine ein, kann das sogar gesundheitsschädlich sein. Nahrungsergänzungsmittel enthalten oft gefährliche Substanzen. Zu viel Vitamin C ist aber normalerweise nicht schädlich. Weil Vitamin C ein wasserlösliches Vitamin ist, scheidet der Körper überschüssiges Vitamin C wieder aus.
Letztlich hat der lang anhaltende Erfolg von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitamin C mehrere Gründe, nicht zuletzt die Nazi-Propaganda und das Marketing der Pharmaunternehmen. Beides befördert gefühlte Wahrheiten. Noch dazu haben vitaminhaltige Zitrusfrüchte ausgerechnet in den Wintermonaten Saison. Dabei enthalten Paprika, Rosenkohl und Broccoli mehr Vitamin C als eine Orange und sind fast das ganze Jahr erhältlich.
Vielleicht tröstet die folgende Geschichte alle, die auf Vitamin C schwören und gerade enttäuscht sind: Selbst erwiesenermaßen schlaue Menschen können daneben liegen. Linus Pauling, Nobelpreisträger für Chemie und Frieden, setzte auf Vitamin C als Allheilmittel. Zeitweise nahm er die 300-fache Menge der von der US-Gesundheitsbehörde empfohlenen Dosis ein und schluckte 18 Gramm täglich. Damit wollte er Krankheiten verhindern, vor allem eine: Krebs. Er wurde zwar alt, nämlich 93, trotzdem starb er ausgerechnet daran.
Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer, Audioversion: Christian Melchert