Ein Screenshot aus einem Videospiel, eine große Explosion findet gerade statt

Screenshot Call of Duty

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Ich zocke seit drei Jahren gegen Nazis – das habe ich gelernt

„Call of Duty“ ist eines der erfolgreichsten Spiele der Welt. Dort sieht man, wie einige Männer in unserer Gesellschaft ticken. Ich habe eine einfache Methode gefunden, ihnen das Spiel zu verderben.

Profilbild von Martin Gommel
Reporter für psychische Gesundheit

„Dir schlitze ich die Kehle auf, darauf kannst du dich verlassen“, sagte ein Mitspieler mit HATE im Namen ins Mikrofon. „Wirst du nicht“, antwortete ich. Ein weiterer Mitspieler sagte, ich solle den Hater stummschalten. Ich war anderer Meinung: „Du kannst kein glücklicher Mensch sein, wenn du mir in einem Videospiel so kommst. Was machst du, wenn dich jemand im echten Leben kritisiert?“

Ich habe seither nie wieder jemanden so schreien gehört.

Es war Juli 2024 und ich spielte, wie jeden Tag, einen der bekanntesten Ego-Shooter der Welt: Call of Duty (COD). Über dieses Spiel bin ich mit Nazis, Rassisten und Frauenhassern in Kontakt gekommen. Das liegt einerseits daran, dass Ballerspiele wie COD viele dieser Menschen anziehen. Aber es liegt auch daran, dass sie, anonym und aufgeputscht vom Spiel, ihren Hass auf andere offen herauslassen.

Bei COD erlebe ich, wie einige Männer in unserer Gesellschaft ticken. Über die Jahre habe ich gelernt, wie ich mit einer ganz einfachen Methode selbst die schlimmsten Typen dazu bringe, das Spiel zu verlassen.

Deshalb sollte dir Call of Duty nicht egal sein

Call of Duty gehört zu den weltweit erfolgreichsten Spielen und wurde nach Angaben des Publishers „Activision“ über 500 Millionen Mal verkauft. Laut dem Nachrichtenportal Games Wirtschaft wurde die neue Ausgabe „Black Ops 6“ in Deutschland mehr als 600.000 Mal verkauft und ist damit an der Spitze der Bestseller.

Was in diesem Spiel gesagt oder in den Chat geschrieben wird, ist nicht egal, denn es geht um eine ziemlich große Gruppe in der Bevölkerung. Es ist sogar wahrscheinlich, dass du jemanden kennst, der COD spielt.

Den Erfolg des Spieles machen für mich zwei Dinge aus: Es passiert viel gleichzeitig und ich weiß, dass echte Menschen gegeneinander spielen. Je nach Modus ist das Ziel, die Gegner zu „killen“, bevor sie einen selbst plattmachen.

COD ist ein First-Person-Shooter, was bedeutet, dass man die Perspektive einer Kamera auf dem Kopf des gesteuerten Spielers hat. Man sieht eine Waffe, die man hält und per Knopfdruck zielen kann. Über Controller-Buttons oder Maus und Tastatur kann man sich bewegen, hüpfen oder ducken.

Während des Spieles kann man die Mitspieler hören, wenn sie ein Mikrofon haben. Sie können „Callouts“ geben, zum Beispiel: „Einer sitzt oben im Fenster.“ Aber nicht alle dieser Kommentare sind höflich oder warnend. Meistens sind sie beleidigend.

Das Bild zeigt die Spielerperspektive in einem Call of Duty-Spiel. Der Spieler hält eine Waffe in den Händen, die im Vordergrund zu sehen ist, mit einem roten Handschuh und einem Zifferblatt an der Hand. Der Blick ist auf einen opulenten, aber beschädigten Innenraum gerichtet, mit hohen Bögen, Chandelier-Lampen und zerbrochenem Boden. Auf der linken Seite befindet sich eine Mini-Karte mit einem gelben Pfeil, die die Ausrichtung zeigt, sowie Statusanzeigen wie Munition (30/60) und Granaten (1). Die Umgebung hat grüne Marmorwände, Statuen und zerstörte Möbel.

Das ist die Perspektive des Spielers in Call of Duty. | Screenshot: Martin Gommel

Wenn ich an COD dachte, wurde mir übel

Als ich vor drei Jahren mit COD anfing, hörte ich es zum ersten Mal: „Ihr seid scheiße in diesem Spiel, ihr verdammten Pussies.“ Ich saß sprachlos vor dem Monitor und dachte: Was zur Hölle hat der gesagt? Diese Mischung aus „Trashtalk“, also Provokation, und sexistischer Beleidigung, machte mich rasend. Denn ich hatte dem nichts entgegenzusetzen.

Ich dachte, dass dieser Satz ein Einzelfall sei und die Person einen schlechten Tag hatte. Falsch. Nach gefühlt jedem zweiten Spiel lachten mich andere Spieler aus und beschimpften mich als „behindert“ oder „Hurensohn“.

Mit 41 Jahren dachte ich, ein dickes Fell zu haben, aber die Beleidigungen setzten mir zu. Wenn ich an COD dachte, wurde mir übel und ich bekam Puls. Also ließ ich die Playstation wochenlang unberührt.

Aufgeben wollte ich nicht. Stattdessen hatte ich das Bedürfnis, den aggressiven Spielern etwas entgegenzusetzen. Mir war klar, dass ich spielerisch nicht viel draufhatte. Also sagte ich alle Spiele mit anderen ab und fing an, gegen schwache Bots zu trainieren. Jeden Tag killte ich 1.000 Bots, bis ich nach vier Wochen merkte: Meine Reflexe waren schneller, meine Bewegungen flüssiger und meine Schüsse präziser geworden.

Ich behielt dieses Training bei und mit meinen Fähigkeiten wuchs auch mein Selbstbewusstsein. Zuvor war es schwer, rhetorisch klug auf die Beschimpfungen zu reagieren, weil ich mich in COD nicht auskannte. Meine Gegenspieler nahmen mich nicht ernst. Das hatte jetzt ein Ende.

Wie ich die Hater zum Schweigen brachte

Mit der Zeit lernte ich Leute kennen, mit denen ich zocken konnte und traute mich wieder, gegen andere zu spielen. Zwischen den Runden: „Ihr Vollidioten seid scheiße.“ Als ich das wieder hörte, musste ich kichern.

Diese Typen drückten Sprüche, als stünden sie mit Heerscharen im Rücken auf einem Schlachtfeld. Sie saßen aber zuhause, fluchten in ein Headsetmikrofon und statt mir die Gurgel zu, drückten sie auf vier Knöpfe.

Mit der Zeit verstand ich, dass ein gewisses Maß an „Trashtalk“ zum Gaming dazugehört. Wenn man 20 Minuten um Positionen, Punkte und Prestige ringt und den Sieg holt, ist das irgendwie, naja, geil. Besonders, wenn ein Team vor dem Spiel sagt: „Wir machen euch platt“, und dann verliert. Aber man kann sich auch ohne diskriminierende Beleidigungen über den eigenen Sieg freuen.

Ich lernte ein harmloses Wort, um Gegner nach einem Spiel zur Weißglut zu bringen. Es war weder rassistisch, homophob noch frauenfeindlich. Es war kein Schimpfwort, kein persönlicher Angriff und auch nicht „deine Mudder“. Das Wort, das die wackeligen Egos aus der Fassung brachte, war „easy“. Easy bedeutet: Wir hatten mit euch ein leichtes Spiel.

„Wenn ich wüsste, wo du wohnst, würde ich dich umlegen“

Zwischendurch spielte ich „Frei für alle“, das heißt: acht Spieler, jeder gegen jeden, und alle, die den Sprachchat aktiviert haben, hören sich die ganze Zeit gegenseitig. Eines Tages, das Spiel hatte gerade begonnen, beschimpfte die Nummer 1, dem Akzent nach ein Engländer aus Liverpool, jeden, den er killte, mit demselben Spruch: „Du bist meine kleine Bitch und ich werde dich fertigmachen.“

Ich hörte mir das eine Weile an und sagte auf Englisch: „Was ist mit dir los? Du bist der Beste, warum hast du es nötig, auf uns rumzuhacken?“ Nun nannte er mich alle zwei Minuten seine Bitch – und ich rieb es ihm unter die Nase: „Wow, warum so beschäftigt mit mir? Bin ich in deinem Kopf?“

Natürlich musste ich wieder kichern. Es war das erste Mal, dass ich einem toxischen Trottel ordentlich zurückgab und es mir Spaß machte. Seine Antwort? „Wenn ich wüsste, wo du wohnst, würde ich dich umlegen.“ Ich brach in Gelächter aus. Und er verließ das Spiel. Ich hatte den Bully rausgemobbt. Ohne Beleidigungen.

In diesen Momenten fiel mir etwas auf. Call of Duty zeigte mir ungeschönt, was man normalerweise nicht sieht: das, was Menschen denken und sagen, wenn sie sich sicher und anonym fühlen. Klar, auch in anderen Teilen des Internets kann man das verfolgen. Aber bei Call of Duty hört man die Stimmen der Mitspieler und somit ihre spontanen Reaktionen.

In diesem Spiel komme ich mit einem Teil der Gesellschaft in Kontakt, mit dem ich im Alltag wenig zu tun habe: mit Menschenhassern. Und mit Nazis.

Ich lege mich aus einem bestimmten Grund mit Nazis an

Während der US-Präsidentschaftswahlen und der Bundestagswahl war Call of Duty voll mit MAGA- und AfD-Clan-Tags. Der Clan-Tag ist das, was man vor den eigenen Namen setzt, in eckigen Klammern, maximal fünf Buchstaben. Zum Beispiel: [MAGA]Rambo.

[AntiF], das habe ich gerade. Ein Brite in meinem Team sagte vor ein paar Wochen ironisch: „Man könnte meinen, du sympathisierst mit der Antifa“, worauf ich sagte: „Tue ich auch.“ Ich erklärte ihm die Geschichte der Bewegung und ihren Anfang in den 1920ern in Deutschland.

Nazis sind keine Ausnahme in Call of Duty. Ich habe das N-Wort in drei Jahren so oft gehört, dass ich aufgehört habe zu zählen. Jedes Mal sage ich etwas dazu und wenn ich schlecht gelaunt bin, kommt auch mir ein „Halt die Fresse“ über die Lippen. Ich weiß, dass ich diese Menschen dadurch nicht umstimme. Aber mir geht es ums Prinzip.

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Gleichzeitig weiß ich, dass nicht jeder das Privileg hat, wie ich in COD Nazis auszulachen. Wer eine Morddrohung ins Gesicht gesagt bekommt oder auf der Straße rassistisch beschimpft wird, kann sich darüber nicht einfach lustig machen.

Ich dagegen bin durch die Anonymität meines Nicknames geschützt und kann alles sagen, was ich will, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Gerade deshalb finde ich es wichtig, nicht nur schweigend dabei zu sitzen. Wer kann, sollte menschenverachtenden Sprüchen etwas entgegensetzen.

Hier schrieb eine Person mit dem Namen “itler” in den Gamechat, “Hitler” ist verboten - man sieht das Chatfenster und im Ausschnitt sieht man den NS-Gruß, ohne H zu Beginn.

Hier schrieb eine Person mit dem Namen „itler“ in den Gamechat, „Hitler“ ist verboten. Ich habe sie gemeldet und blockiert. | Screenshot: Martin Gommel

Wenn jemand in einem Spiel den Nicknamen „KillTheMigrants“ hat, melde ich das, blocke die Person und spreche es auch im Chat oder Audio offen an. Auch wenn die anderen Spieler nichts sagen, können einige mich hören. Wenn darunter eine Person von Rassismus betroffen ist, lohnt es sich.

Ich spielte kürzlich einen Ableger von COD, Warzone, mit 150 Spielern auf einer riesigen Karte. Am zweiten Tag schrieb jemand im Game-Chat: „Sind hier noch weitere Arier?“ Ich schrieb: „Verpisst euch“, worauf zurückkam: „Wir machen euch platt, wo seid ihr?“

Ich schrieb ihnen, wir seien in der virtuellen Welt des Spiels am Flughafen. Wir waren aber nicht dort, sondern am anderen Ende der Karte. Ich schrieb immer wieder: „Halloooooo? Wir warten!“ Wahrscheinlich haben sie uns das ganze Spiel über gesucht.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Ich zocke seit drei Jahren gegen Nazis – das habe ich gelernt

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