Hinter jeder Person, die die AfD wählt, steht mindestens eine ihr nahestehende, die darunter leidet. Das hat mir Leonie Plaar mit ihrem Buch „Meine Familie, die AfD und ich“ nahegebracht, das am 10. September erschienen ist.
Leonie ist queer. Die Menschenfeindlichkeit der AfD trifft sie somit direkt, und trotzdem wählen und verteidigen ihr Vater und ihre Oma diese Partei.
Erstaunlich fand ich bei der Lektüre, wie Leonies Familie im Privaten die gleichen rhetorischen Strategien fährt wie AfD-Politiker:innen. Sie verharmlosen ihr extremistisches Weltbild, stilisieren sich selbst als Opfer oder weichen einfach jeder Frage aus. Im Videogespräch mit ihr wollte ich wissen: Wie hält man das aus? Und wann ist der Punkt erreicht zu sagen, wir können nicht mehr reden?
Ist es dir denn schwergefallen, das Buch zu schreiben? Immerhin geht es darin um den Kontaktabbruch zu deiner Familie. Deinen Vater nennst du nur noch „Erzeuger“.
Mit meiner Mutter habe ich noch sporadisch Kontakt, mit meinem Erzeuger und mit meiner Oma gar nicht mehr. Meine Eltern kennen meine Adresse nicht. Der Kontaktabbruch ist rund drei Jahre her.
Das heißt, ich war beim Schreiben bereits an einem Punkt, an dem ich mit der Geschichte emotional abgeschlossen hatte. Ich habe mir in Düsseldorf ein neues Leben aufgebaut und mich gut eingelebt. Das Buch zu schreiben, war so etwas wie der letzte Schlusspunkt. Natürlich war es hart, sich wieder in verletzende Situationen reinzufühlen, das gedanklich alles nochmal durchleben zu müssen. Aber nicht im Sinne von: „Boah, ich bin jetzt so sauer und will gleich wieder diskutieren“, sondern: „Das hat mich so verletzt damals, das war so frustrierend und anstrengend, dass ich so froh bin, dass ich da jetzt raus bin!“ Beim Schreiben und auch später nochmal beim Korrekturlesen hatte ich das wirklich gute Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Du beschreibst eine Situation, in der dein Erzeuger behauptet, man müsse Frauen vor migrantischen Straftätern schützen. Du benennst daraufhin sexuelle Übergriffe, die dir selbst widerfahren sind. Alle Täter waren weiß. Er geht darauf nicht ein. Stattdessen empört er sich über den Begriff „toxische Männlichkeit“. Das muss doch alles wahnsinnig viel Kraft gekostet haben.
Das waren teilweise Diskussionen von drei oder sogar fünf Stunden! Irgendwann wurde mir klar, wie viel verschwendete Zeit und Kraft das ist, mit jemandem zu diskutieren, der es als persönliche Niederlage sehen würde, wenn ich ihn von meinen Argumenten überzeuge.
Wie hast du das ausgehalten?
Ich habe meine Grenzen völlig ignoriert, ich bin sogar weit darüber hinausgegangen. Das hat dann auch in Panikattacken und Schlimmerem geendet. Scham spielte auch eine große Rolle. Ich schämte mich dafür, es nicht geschafft zu haben, diese Person zu überzeugen, dachte, es sei meine Aufgabe, ihn noch zurückzuholen. Man ist mit sich selbst ja immer strenger als mit anderen. Ich würde von keiner anderen Person erwarten oder ihr gar raten, so weit zu gehen.
Du schreibst, dass die AfD-Mitgliedschaft deines Erzeugers den Ausschlag für den Kontaktabbruch gegeben hatte, auch wenn es nicht der alleinige Grund war. Als Schlüsselerlebnis beschreibst du, wie er auf die Frage, warum er die AfD unterstützt, sagt: Die Partei vertritt meine finanziellen Interessen am besten. Warum war genau das so schwer für dich zu hören?
Er hat mir damit ins Gesicht gesagt, dass ihm seine finanziellen Interessen wichtiger sind als die Sicherheit seiner Tochter. Schließlich ist die AfD eine Partei, deren Repräsentant:innen offen queerfeindlich auftreten. Ich fand es schlimm genug, dass er die Entmenschlichung anderer Gruppen mitgetragen hat. Da war schon längst eine Grenze erreicht. Aber da ich selbst queer bin, hatte ich Hoffnung, dass ich ihn über die persönliche Ebene abholen kann. Aber nicht einmal die direkte Nähe zu mir hat gereicht. Er war nicht in der Lage, Empathie zu empfinden und etwas nachzuvollziehen, was nicht seiner eigenen Lebensrealität entspricht. Da war ein Totpunkt erreicht, an dem ich beschlossen habe, meine Energie woanders hineinzustecken.
Welche Hoffnung hat dich so lange angetrieben?
Ich dachte lange, ich brauche nur dieses eine Argument, diesen einen Satz, der ihn überzeugt. Oder dass die Nähe zu mir etwas bewirkt: Hallo, hier bin ich, deine Tochter – ich bin direkt von der Politik der AfD betroffen. Aber da war kein Interesse, sich auszutauschen, etwas zu lernen, vielleicht die Meinung zu ändern, sondern es war ein sportlicher Wettkampf. Es ging ihm nur darum zu gewinnen.
Leonie Plaar
Sie wurde 1982 in Osnabrück geboren und arbeitet als Content-Creatorin und Journalistin. Auf Tiktok und Instagram klärt sie unter dem Namen Frau Löwenherz zu Queerness und Feminismus auf. Sie studierte Englisch, Geschichte und American Studies, ergänzt durch ein Zertifikat in Geschlechterforschung. Ihr Buch „Meine Familie, die AfD und ich“ ist am 10. September 2025 im Goldmann Verlag erschienen und hat 224 Seiten.
Was rätst du anderen in deiner Situation?
Community, ganz viel Community. Es hilft, Menschen zu finden, die einen darin bestätigen, weiterzumachen, oder die vielleicht sogar in einer ähnlichen Situation sind. Ich glaube, man zweifelt schnell an den eigenen Gefühlen und denkt: Vielleicht bin ich zu linksextrem, vielleicht erwarte ich einfach zu viel. Mir hat es sehr geholfen, bei meinen Freund:innen, meiner Wahlfamilie, Kraft zu sammeln. Aber vielleicht ist irgendwann der Punkt erreicht, wo man sich eingestehen muss: Ich erreiche diese Person durch Gespräche nicht mehr und engagiere mich lieber woanders, zum Beispiel in einer demokratischen Partei oder in der queeren Jugendhilfe.
Du deutest an, dass die Beziehung zu deinem Erzeuger sogar sehr gut war, als du ein Kind warst. Welche Erinnerungen hast du an den Vater deiner Kindheit?
Ich war tatsächlich ein richtiges Papa-Kind. Mein Erzeuger ist Einzelhandelsunternehmer und hat viel gearbeitet, das heißt, es war jetzt nicht so, dass er wahnsinnig viel Zeit mit mir verbracht hat. Aber ich erinnere mich, dass er abends auf meiner Bettkante saß und mit mir darüber gesprochen hat, was gerade in der Welt los ist. Politik hat für ihn schon immer eine große Rolle gespielt. Das Ironische ist, dass er immer gesagt hat, dass man alles hinterfragen muss. Als ich genau das getan habe, ging es mit uns auseinander.
War dein Erzeuger denn schon immer rechts eingestellt?
Ich habe früher immer gesagt, ich bin in einer konservativen Familie groß geworden und komme inzwischen aus einer rechtsextremen Familie. Das würde ich heute nicht mehr so formulieren. Im Prozess des Schreibens sind Erinnerungen aufgeploppt, die zeigen, dass der explizite Rassismus immer schon da war, nur dass ich ihn mit zehn Jahren nicht gesehen habe. Ich erinnere mich an einen Kommentar von ihm, dass man eine Person mit Kopftuch ja nicht auf Kunden loslassen könne. Die Ideen der AfD sind bei ihm auf fruchtbaren Boden gefallen.
Wie erklärst du dir seine Radikalisierung?
Wenn es dafür die eine Erklärung gäbe, gäbe es vielleicht auch eine Lösung. Ich gehe davon aus, dass die Geschichte anders verlaufen wäre, wenn es Facebook und später Telegram nicht gegeben hätte. Er hat sehr viel Zeit auf sozialen Medien verbracht. Parallel wollten immer mehr Freund:innen aus dem realen Leben nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das tut mir für meine Mutter leid, die mit der AfD nichts am Hut hat.
Ich habe mal gelesen, dass man Menschen am ehesten im persönlichen Umfeld politisch umstimmen kann. Das hat bei euch offensichtlich nicht funktioniert.
Das stimmt ja auch. Menschen, die auf der Kippe stehen, kann man noch zurückholen. Aber das ist ein Punkt, über den meine Verwandten seit zehn Jahren hinaus sind. Trotzdem glaube ich, dass man mit empathischen Gesprächen sehr viel erreichen kann. Und gerade im persönlichen Umfeld muss man deutlich machen, dass bestimmte Dinge nicht gehen. Es gibt auch Studien, dass eines der wirksamsten Mittel gegen Radikalisierung soziale Konsequenzen sind. Wer rassistische, queerfeindliche oder frauenverachtende Dinge sagt, muss merken, dass die Leute, zu denen die Person einen direkten sozialen Bezug hat, also die Familie, Freund:innen oder die anderen im Fußballverein sagen: Ey, Alter, sowas wollen wir hier nicht haben. Denn wenn menschenfeindliche Dinge immer wieder gesagt werden, gewöhnt man sich daran, sie werden normalisiert. Was das bedeutet, sehen wir gerade auf der großen politischen Bühne.
Ich könnte mir vorstellen, dass viele Menschen auch ganz gut damit fahren zu sagen, wir sparen das Thema Politik aus.
Solche Kommentare bekomme ich immer wieder auf Social Media: „Na, dann redet halt einfach nicht über Politik, wo ist das Problem?“ Hier sollte man sich bewusst machen: Nicht über Politik reden zu können, ist ein Privileg! Das können sich nur Leute leisten, die nicht direkt betroffen sind. Ich als queere Frau kann in keinem Raum unpolitisch existieren. Politik einfach mal Politik sein zu lassen, funktioniert eben nicht, wenn die Person am Tisch gegenüber mit ihrer Politik aktiv mein Leben, meine Beziehung und meine Freundschaften bedroht. Wir reden da nicht von unterschiedlichen Steuersätzen, sondern von Menschenleben, Menschenrechten und Menschenrechtsverletzungen.
Zehn Jahre lang hast du nicht nur mit deinem Erzeuger diskutiert, sondern auch mit deiner Oma und deinem Onkel. Hast du einen Tipp, wie man mit Leuten spricht, die mit der AfD oder Verschwörungstheorien liebäugeln?
Mit der Zeit habe ich tatsächlich einige rhetorische Kniffe gelernt. Wenn die Leute Fakten nicht anerkennen, kommt man mit rationalen Argumenten nicht gegen sie an, aber mit emotionalen. Die erfolgreichste Diskussion, die ich mit meinem Erzeuger hatte, ging um das N-Wort und vermeintliche Zensur in Kinderbüchern. Ich habe dabei Erfahrungsberichte von betroffenen Eltern aus Kommentarspalten vorgelesen, deren Kinder mit dem N-Wort auf dem Schulhof beleidigt wurden oder die davon erzählen, wie toll es ist, dass sie beim Vorlesen nicht mehr erklären müssen, warum das N-Wort bei Pippi Langstrumpf ein böses Wort ist, aber trotzdem da steht. Dieses Ringen um Empathie hat tatsächlich funktioniert. Am Ende hat er gesagt, na gut, dann hast du da eben recht.
Das ist total stark. Aber gleichzeitig ist es doch absurd, dass es hier geklappt hat, aber wenn du an deine eigene Situation als queere Frau appelliert hast, nicht.
Tja, Kinder ziehen bei der AfD halt immer. Mit Kindern, die auf dem Schulhof gehänselt werden, konnte er etwas anfangen. Meine Diskriminierung als Frau und queere Person zeigt sich nun aber nicht so explizit: Mir werden meistens zumindest keine expliziten Schimpfworte hinterhergerufen, es ist abstrakter. Aber AfDler:innen weigern sich, Diskriminierung als Struktur zu begreifen. Daher habe ich in der Kinderbuch-Diskussion auch bewusst darauf geachtet, das Wort Rassismus nicht zu verwenden.
Hast du noch weitere Strategien?
Ein weitere Strategie ist zu fragen: Was bräuchte es, um dich vom Gegenteil zu überzeugen? Wenn die Person eine Antwort hat, zum Beispiel: „Ich würde mich impfen lassen, wenn ich wirklich sicher sein kann, dass das auch etwas bringt“, dann kann ich Studien oder Fakten vorlegen. Wenn sie aber sagt: „Es gibt nichts, was mich vom Gegenteil überzeugen könnte“, dann ist ihre vermeintliche „Meinung“ nichts anderes als eine Ideologie. Weder mein Erzeuger noch meine Oma hatten eine Antwort. Diese fehlenden Antworten haben mir Klarheit gebracht, dass der Kontaktabbruch der richtige Weg ist.
Hat dein Erzeuger wirklich „nichts“ geantwortet?
Er ist ausgewichen. Aber genau das musste ich hören, um mich reinen Gewissens von ihm verabschieden zu können.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert