KR-Mitglied Turid fragt: „Warum bezahlt die Krankenkasse keine Brille?“
Viele stellen sich diese Frage, denn zwei Drittel der Menschen in Deutschland tragen eine Brille – und müssen sie in der Regel selbst bezahlen. Ab 60 Jahren sind es laut dem Berufsverband der Augenärzte sogar 90 Prozent, die eine Brille tragen.
Eine Brille, bei der die Gläser nur eine Stärke haben, kostet zwischen 100 und 500 Euro. Eine Gleitsichtbrille, mit der man sowohl in der Ferne, zum Beispiel beim Autofahren, als auch in der Nähe, etwa beim Lesen, gut sehen kann, kostet zwischen 150 und 700 Euro, manchmal aber auch deutlich mehr. Wie viel genau, kommt auf die Qualität und die Technologie der Gläser an.
Eine Brille kommt aber selten allein. Optiker:innen empfehlen eine Ersatzbrille, falls die Hauptbrille mal kaputt geht. Außerdem ist eine Sonnenbrille wichtig und gegebenenfalls eine extra robuste Sportbrille. Auch diese Brillen kosten oft viel Geld.
Würden die gesetzlichen Krankenkassen alle Brillen bezahlen, würde sie das einen einstelligen Milliardenbetrag kosten. Das müssten am Ende alle 75 Millionen gesetzlich Versicherten mit ihren Beiträgen bezahlen. Der Krankenkassenbeitrag würde wahrscheinlich steigen.
In den 80ern musste man noch vier D-Mark für die eigene Brille zahlen – dann kamen die Gesundheitsreformen
Daran störte sich die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) schon im Jahr 2003, denn sie hatte sich vorgenommen, die Beiträge zur Krankenkasse stabil zu halten. Die Beiträge sollten bei 13,7 Prozent bleiben. Deshalb machte sie eine Gesundheitsreform, die zwar Geld im Gesundheitswesen einsparte, aber neue Probleme erzeugte, zum Beispiel die Abrechnung nach Pauschalen in Krankenhäusern.
Wer vor der Reform Schwierigkeiten mit dem Sehen hatte, bekam einen Zuschuss von der Krankenkasse. Der Zuschuss war bis zum Jahr 1982 so hoch, dass am Ende nur noch vier D-Mark aus eigener Tasche für eine Brille bezahlt werden mussten. 1989 stieg der Eigenanteil auf 20 D-Mark, aber für eine neue Brille bekam man nur noch dann einen Zuschuss, wenn man mindestens 0,5 Dioptrien Sehschärfenänderung brauchte. Ab 1997 gab es gar keine Zuschüsse mehr zum Brillengestell, nur noch für Brillengläser.
Und diese Zuschüsse wurden 2004, bei der Gesundheitsreform von Ulla Schmidt, fast komplett gestrichen. 2021 lockerte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen die Regeln wieder etwas, sodass seitdem wieder mehr Menschen einen Zuschuss bekommen.
Krankenkassen zahlen jetzt nur noch dann etwas dazu, wenn jemand minderjährig ist, wie die Verbraucherzentrale erklärt. Oder wenn die Sehleistung sehr stark eingeschränkt ist:
- Bei Kurz- oder Weitsichtigkeit, die mit mehr als 6 Dioptrien korrigiert werden muss.
- Bei einer Hornhautverkrümmung, die mit mehr als 4 Dioptrien korrigiert werden muss.
- Wenn man nur noch 30 Prozent Sehkraft hat.
Bezuschusst werden aber nur die Brillengläser, nicht die Fassung. Die Versicherten müssen, wie bei Medikamenten auch, immer etwas dazu zahlen, meistens zehn Prozent.
Wie Menschen mit wenig Geld eine Brille bekommen können
Früher konnten Optiker:innen mit den Kassen direkt abrechnen. Jetzt stellen sie den Menschen mit einer starken Fehlsichtigkeit einen Berechtigungsschein aus. Damit gehen diese zum Augenarzt, um eine Verordnung zu bekommen. Nur mit dieser ärztlichen Verordnung zahlt die Kasse einen Zuschuss zu den Gläsern.
Wahrscheinlich sehen nicht alle gut, die am Straßenverkehr teilnehmen. Manche Menschen gehen nicht zum Sehtest, weil sie befürchten, den Führerschein abgeben zu müssen. Dabei ist speziell diese Furcht unbegründet: Die Datenschutzregeln verbieten es Optiker:innen und Ärzt:innen, Testergebnisse weiterzugeben.
Viele Menschen können oder wollen auch kein Geld für eine Brille in der passenden Stärke ausgeben. Da im Alter die Sehkraft immer mehr abnimmt, kann es schnell passieren, dass die Brille nicht mehr richtig passt. Für Menschen, die wenig Geld haben, ist das ein Problem. Die gemeinnützige Organisation „Mehrblick“ kümmert sich darum, dass auch diese Menschen eine passende Brille bekommen. Die Organisation arbeitet mit Optikergeschäften in verschiedenen Städten zusammen, spendiert Brillen und spezielle Sprechstunden, zum Beispiel für Wohnungslose.
Obwohl sich manche keine Brille leisten können, sind die verantwortlichen Politiker:innen seit Jahrzehnten der Meinung, dass man allen Versicherten zumuten kann, die Brille selbst zu bezahlen. Und weil die Krankenkassen Geld sparen sollen, könnte es sein, dass Versicherte bald noch mehr medizinische Leistungen selbst bezahlen müssen, die derzeit noch die Kassen übernehmen. Denn auch die jetzige Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will die Krankenkassenbeiträge stabil halten. Sie liegen derzeit übrigens bei durchschnittlich 17,5 Prozent des Bruttoeinkommens.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer, Audioversion: Iris Hochberger