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Dieses Buch ist das Beste, was ich jemals über den Russland-Ukraine-Krieg gelesen habe. Und das, obwohl das Lesen überhaupt keinen Spaß gemacht hat.
Szczepan Twardoch ist ein polnischer Autor, in seinem Heimatland ist er sehr bekannt. Ab 2022 fuhr er regelmäßig an die Front in der Ukraine, brachte Fahrzeuge, Generatoren oder Drohnen. Im Gegenzug zeigten ihm die Soldaten ihr Leben im Krieg.
Twardoch hätte darüber eine Reportage schreiben können oder ein Sachbuch. Er entschied sich jedoch für einen Roman, „damit ich diesen Krieg so nah an der Wahrheit beschreiben kann, wie ich es vermag“, wie er am Ende des Buches vermerkt. Der Roman heißt „Die Nulllinie“, so wie die Kontaktlinie zwischen den russischen und ukrainischen Truppen, der gefährlichste Ort im Krieg. Es ist ein Roman, der mich verstört hat. Und den ich dennoch jedem empfehlen würde.
„Die Nulllinie. Roman aus dem Krieg“ von Szczepan Twardoch. Erschienen 2025 bei Rowohlt Berlin.
Der Protagonist stammt aus Polen und hat sich freiwillig gemeldet, um für die Ukraine zu kämpfen. Rufname: Koń, polnisch für „Pferd“. Er glaubt, dass dieser Krieg gerecht ist. Aber – so steht es gleich im zweiten Kapitel – er hat in diesem Krieg auch andere Dinge gesehen. Sinnlose Befehle zum Beispiel oder wie russische Soldaten gequält wurden.
Koń selbst sitzt in einem schlecht geschützten Unterstand und glaubt nicht mehr daran, dass er das Ende des Krieges noch erleben wird. Er sieht sich als „lebende Leiche“. Und während er dort sitzt und darüber nachdenkt, wie er in diese Lage gekommen ist, erfährt man viel über den Krieg. Ein „Fundraising-Krieg“, bei dem Freiwillige und Spender:innen die Soldat:innen mit Material versorgen. In dem Drohnen jede Bewegung verfolgen. In dem Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten zusammen kämpfen, abstumpfen und verrohen, aber auch zusammenwachsen und für sich sorgen.
So ist das nun mal im Krieg
Das Buch ist oft eklig. Aber so ist das nunmal, wenn ein Soldat in einem schlecht geschützten Unterstand sitzt, den er nicht verlassen kann, weil über ihm die Drohnen kreisen – und er hat Durchfall. So ist das nunmal, wenn eine Drohne einem russischen Soldaten ein Bein abreißt und während er über das Gras kriecht, hinterlässt er eine Blutspur. So ist das nunmal und deshalb kommentieren sie all das mit einem „це війна“, so ist das im Krieg.
Wenn die Soldaten miteinander reden, fluchen sie ununterbrochen, fast jeden Satz beenden sie mit einem „na chuj“, sinngemäß sowas wie „Scheiße“, wörtlich „auf den Schwanz“. Sie reden abfällig über Frauen, obwohl der Protagonist Koń nichts gegen Frauen hat, denn er hat schon hervorragende Soldatinnen getroffen. Aber so ist das im Krieg, wie soll man es sonst auch aushalten? Die ständige Angst und das Bewusstsein, gerade einen Menschen getötet zu haben.
Warum kämpft er, obwohl er selbst nicht mehr an einen Sinn glaubt?
Während ich Końs Gedanken verfolgt habe, habe ich mich immer wieder gefragt: Warum? Warum kämpft er, obwohl er so desillusioniert ist? Im Laufe des Buches wird das immer klarer. Es hängt mit seinem eigenen verkorksten Leben zusammen, aber auch mit Zuja, seiner Geliebten, die kurz nach Beginn der Vollinvasion von russischen Soldaten vergewaltigt und gefoltert wurde.
Koń ist kein Held und er ist auch nicht verblendet. Er weiß, dass die Russen auch Menschen sind, obwohl er nie „Russe“ sagt, sondern nur „Päderusse“ oder „Russacke“. Er weiß, dass der Krieg irgendwann enden wird. Davor hat er Angst. Nicht vor einem Frieden, aber davor, völlig umsonst gestorben zu sein.
Redaktion: Theresa Bäuerlein