Als der Geheimdienst des Landes herausfand, dass einer seiner Feinde einen Angriff plante, begann eine geheime Operation. Sie bezahlten einflussreiche Personen in der feindlichen Hauptstadt, die sich daraufhin gegen den geplanten Angriff einsetzten. Außerdem vergifteten sie die gegnerische Armee und verschleierten ihre Aktion, indem sie das Gerücht verbreiteten, die Vergifteten hätten dreckiges Wasser getrunken. Die Operation gelang, der Angriff fand nie statt.
Einflussreiche Leute in anderen Ländern bezahlen und Menschen vergiften? Klingt wie etwas, das Russland machen würde.
Hinter der Aktion steckte die Republik Venedig, eine Wirtschafts- und Seemacht, die bis ins 18. Jahrhundert im Nordwesten der Adria herrschte. Ihr Gegner war das Osmanische Reich. Im Jahr 1570 wollte das Osmanische Reich die Stadt Split erobern, die heute in Kroatien liegt. Die Republik Venedig reagierte mit besagter geheimer Aktion, die wir heute als hybriden Krieg bezeichnen würden.
Ich dachte, hybrider Krieg ist eine moderne Erscheinung.
Jein. Die Methoden von hybrider Kriegsführung gibt es schon seit Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden von Jahren. Spionage, Propaganda, Attentate oder Sabotage sind keine modernen Erfindungen. Doch es stimmt, dass hybride Kriege heute in unserer vernetzten Welt eine immer größere Rolle spielen. In Europa wurde der Ausdruck bekannter, als Russland mit hybriden Methoden die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Russland griff die Krim nicht offiziell an, sondern schickte Kämpfer ohne Abzeichen, die sogenannten „grünen Männchen“. Sie erzwangen ein Scheinreferendum, um der Annexion den Anschein von Rechtmäßigkeit zu geben.
Wer genau hinschaut, erkennt, dass Russland seit ein paar Jahren Deutschland und Europa konstant mit hybriden Mitteln angreift. Die Attacken werden immer dreister und nehmen immer weniger Rücksicht auf Zivilist:innen. Immer häufiger verüben nicht speziell ausgebildete Agent:innen die Taten, sondern vermeintlich normale Menschen, die von russischen Geheimdiensten angeworben werden. Der hybride Krieg rückt immer näher an jeden einzelnen von uns heran.
Das finde ich etwas übertrieben. Ich bin mit niemandem im Krieg.
Sicher? Schau dir mal diese Karte von Deutschland an:

© Krautreporter
Hier sind ein Dutzend Vorfälle eingezeichnet, bei denen deutsche Regierungsmitglieder, Geheimdienste oder Ermittler:innen eine eindeutige Verbindung zu Russland herstellten. Die Vorfälle reichen von Cyberattacken über Brandstiftung bis zu Mordversuchen.
Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa nehmen die Vorfälle zu.
Eine Untersuchung der Universität Leiden im niederländischen Den Haag verzeichnet einen starken Anstieg russischer hybrider Angriffe gegen europäische Länder. 2022 waren es noch sechs, 2023 dann 13 und 2024 schon 44.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Center for Strategic and International Studies. Der US-amerikanische Thinktank zählte im Jahr 2022 noch drei hybride Angriffe auf Europa, im Jahr 2024 allerdings schon 34.
Wieso gibt es da unterschiedliche Zahlen? Kann man das nicht eindeutig nachweisen?
Hier sind wir schon mitten im Problem. Bei hybriden Angriffen ist nicht immer klar, wer dahintersteckt und Russland verwischt natürlich seine Spuren. Gerade bei Cyberattacken gibt es ein großes Dunkelfeld, weil sie schwerer zu zählen sind als Brände oder zerschnittene Kabel. Außerdem haben Institutionen und Unternehmen ein Interesse daran, ihre Cyber-Schwachstellen geheim zu halten und machen die Angriffe nicht immer öffentlich. Es ist also nicht ganz klar, ob die Attacken wirklich mehr werden oder ob Europa einfach genauer hinschaut.
Außerdem könnten auch ganz andere Länder dahinterstecken, oder nicht?
Ja, vor allem bei Cyberattacken führen die Spuren oft nach Iran oder Nordkorea. Beispielsweise gab es 2022 eine mutmaßlich iranische Cyberattacke auf das Nato-Land Albanien. Die Hacker veröffentlichten Daten des Innenministeriums im Internet, zum Beispiel die E-Mails des Geheimdienstchefs. Albanien brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Iran ab.
Insgesamt ist aber Russland der wichtigste Akteur im hybriden Krieg gegen Europa. Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, warnte Ende vergangenen Jahres bei einer parlamentarischen Anhörung vor Russlands hybriden Angriffen auf Deutschland. Moskaus Bereitschaft zur Eskalation habe „ein bisher ungeahntes Niveau erreicht.“ Auch die Nato warnte vor den „hybriden Aktivitäten“ Russlands in mehreren Nato-Staaten. Und Andrei Soldatov, ein russischer Journalist und Experte für Geheimdienste, sagte mir: „Die russischen Operationen werden viel aggressiver als vor 2022.“ Außerdem gebe es das Empfinden, „dass das Land einen existenziellen Krieg gegen den Westen führt.“
Es bleibt also der Eindruck: Selbst wenn du nicht im Krieg mit Russland bist, Russland ist im Krieg mit dir.
Erkläre mir nochmal, was ein hybrider Krieg überhaupt ist. Bisher finde ich das alles sehr vage.
Es gibt keine offizielle Definition von hybridem Krieg. Lass es mich deshalb erklären, indem ich dir von drei Vorfällen erzähle:
Erstens: 2022 startete Russland eine Desinformationskampagne und baute dafür Nachrichtenseiten, wie die des Spiegels oder der Bildzeitung, täuschend echt nach, um auf diesen Seiten Fake News zu verbreiten. Das nannte man die „Doppelgänger-Kampagne“.

Zuerst schrieben russische Trolle massenhaft Kommentare, dann Fake-Artikel. Hoffentlich machen sie nicht demnächst einen Podcast. | © Screenshot/EU DisinfoLab
Zweitens: Anfang 2024 veröffentlichte der russische Propaganda-Sender RT den Mitschnitt eines abgehörten Gesprächs. Darin diskutieren hochrangige deutsche Offiziere den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine. Zwei Personen hatten sich über eine unsichere Verbindungen eingewählt, gegen sie gab es Disziplinarverfahren und sie mussten eine Geldstrafe zahlen.
Drittens: Anfang 2025 machten vermeintliche Klimaaktivist:innen Schlagzeilen, die Autos beschädigten, indem sie Bauschaum in die Auspuffrohre stopften. Außerdem hinterließen sie Aufkleber mit der Aufschrift „Sei grüner!“, dazu ein Foto des damaligen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Der Spiegel berichtete, dass diese Aktionen Teil einer deutschlandweiten Sabotageserie waren, die von Russland gesteuert wurde.
Was fällt dir auf?
Dass es extrem peinlich ist, womit Deutschland angegriffen werden kann. Robert-Habeck-Sticker, ernsthaft? Das soll hybrider Krieg sein?
Diese drei Beispiele zeigen hervorragend, worauf die Attacken meist aus sind. Es geht nicht unbedingt darum, möglichst viel zu zerstören oder Menschen zu töten. Sondern darum, die angegriffene Gesellschaft zu verunsichern und zu spalten. Russlands hybride Angriffe auf Deutschland sollen vor allem die Unterstützung für die Ukraine schwächen. Je mehr die Deutschen über Robert-Habeck-Sticker streiten, desto weniger sind sie bereit, der Ukraine zu helfen.
Woher weißt du das überhaupt? Putin erzählt wohl kaum herum, was seine Absichten sind.
Es ist ziemlich auffällig, dass besonders häufig Orte zum Ziel werden, die etwas mit der Ukraine zu tun haben. Zum Beispiel brannte im Frühjahr 2024 ein Lagerhaus in der Nähe von London, das zur britischen Niederlassung eines ukrainischen Paketdienstes gehört. Keine zwei Wochen später brannte ein Lagerhaus der gleichen Firma in Spanien. Mehrere Personen, die verdächtigt werden, die Brände für Russland gelegt zu haben, wurden angeklagt.
Länder, die als Unterstützer der Ukraine gelten, wie etwa Großbritannien, Estland oder Polen, berichten über verschiedene hybride Attacken. Länder, die Russland näher stehen, wie etwa Serbien oder Ungarn, verzeichnen keine hybriden Angriffe. Deutschland ist eines der wichtigsten Unterstützerländer der Ukraine und steht deshalb im Fokus.
Ich kann mir das immer noch nicht richtig vorstellen. Wer genau plant diese Attacken? Wie läuft das ab?
Gegenfrage: Erinnerst du dich noch an diesen Mann?

Fahndungsplakate kommen nicht nur in Filmen vor, nach Jan Marsalek wird wirklich mit diesem Plakat gesucht. Allerdings gleicht sein Leben auch einem Film. | © Polizeipräsidium München
Der Typ von Wirecard?
Genau der. Jan Marsalek befindet sich seit 2020 auf der Flucht und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Der Österreicher war im Vorstand des Finanzdienstleisters Wirecard und hat mutmaßlich Bilanzen in Milliardenhöhe gefälscht.
Das ist heftig, aber ich dachte, es geht hier um hybriden Krieg.
Marsalek ist nicht nur in eines der größten Wirtschaftsverbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte verwickelt. Er spioniert wahrscheinlich auch für Russland.
Jan Marsalek ist ein russischer Spion?
Er floh 2020, als sein Betrug aufflog, nach Moskau und soll von dort aus einen Spionagering leiten, wie die Recherchen verschiedener Medien zeigen. In Deutschland ermittelt der Generalbundesanwalt gegen ihn wegen Spionageverdacht.
Im Mai 2025 verurteilte ein Londoner Gericht sechs Bulgaren wegen Agententätigkeit zu hohen Haftstrafen. Angeleitet hat sie wahrscheinlich Marsalek. Die Männer spionierten einen US-Militärstützpunkt in Stuttgart aus, weil sie vermuteten, dass dort ukrainische Soldaten ausgebildet wurden. Außerdem planten sie die Entführung, möglicherweise sogar den Mord, von zwei Investigativjournalisten. Einer davon ist Christo Grozev, ein bulgarischer Journalist, der viele Jahre in Wien lebte und unter anderem für den Spiegel arbeitete.
Der österreichische Verfassungsschutz deckte zudem auf, dass Marsaleks Spion:innen Sticker in der Nähe von österreichischen Redaktionen anklebten. Darauf waren ukrainische und rechtsextreme Abbildungen zu sehen. Das Ziel war anscheinend, dass Journalist:innen sie sehen und über die vermeintlichen ukrainischen Nazi-Sticker berichten.
Spionage, Desinformation, geplante Entführung und Mord von Journalisten – das ist hybrider Krieg in Reinform. Mutmaßlich gesteuert von Jan Marsalek aus Moskau.
Das klingt wie der Plot eines Actionfilms, in dem Bruce Willis die Hauptrolle spielt und es am Ende viele Explosionen gibt.
Explosionen gab es in diesem hybriden Krieg auch schon. Im Juli 2024 ging ein Paket im DHL-Frachtzentrum in Leipzig in Flammen auf. Es war reiner Zufall, dass das Flugzeug Verspätung hatte, in dem das Paket hätte transportiert werden sollen. Sonst wäre es wahrscheinlich zu einem Flugzeugabsturz gekommen.
In Birmingham und Warschau gingen ebenfalls Pakete in Flammen auf. Es wurden bereits mehrere Tatverdächtige in Polen, Litauen und Bosnien-Herzegowina festgenommen. Nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung wurde erstmals auch in Großbritannien ein Verdächtiger festgenommen. In Deutschland ermittelt der Generalbundesanwalt. Ermittler:innen vermuten, dass Russland dahintersteckt.
Aber nochmal zurück zu Marsalek. Wusstest du, dass du dir bei Amazon eine Tasse mit seinem aufgedruckten Fahndungsplakat kaufen kannst? Für nur 17,99 Euro! Die stammt aber vermutlich nicht von Russland.

Wer Nervenkitzel braucht und sich zuhause ausspioniert fühlen will, kann seinen Kaffee aus dieser Tasse schlürfen. | © Screenshot/Amazon
An dieser Person schockiert mich gar nichts mehr.
Dann pass mal auf: Marsaleks Geschichte erzählt einiges darüber, wo die Planung der hybriden Aktionen angesiedelt ist. Er wurde wahrscheinlich mithilfe einer „Honigfalle“ an den russischen Militärgeheimdienst GRU herangeführt. So nennt man es, wenn sich jemand im Auftrag eines Geheimdienstes einer anderen Person sexuell nähert. In Marsaleks Fall war die Honigfalle ein russisches Erotikmodel namens Natalja Slobina. Sie fing eine Affäre mit Marsalek an und brachte ihn mit der GRU in Kontakt.
Eines verstehe ich nicht so ganz. Propaganda und Spionage gab es doch schon immer. Vor allem im Kalten Krieg hatten Geheimdienste Hochkonjunktur. Was ist jetzt anders?
Während des Kalten Krieges gab es immerhin eine Art Gleichgewicht zwischen Ost und West. Beide Seiten wollten die Situation nicht eskalieren. Jetzt leide Russland immer noch darunter, seinen Status als „Superpower“ verloren zu haben, sagte mir der Journalist und Geheimdienstexperte Andrei Soldatov. Deshalb versuche man jetzt, zumindest auf der Ebene der Geheimdienste eine Weltmacht zu sein.
Dazu trägt sicher auch bei, dass Wladimir Putin eine Vergangenheit im Inlandsgeheimdienst FSB hat. Auch viele in Putins Umfeld kommen aus dem Geheimdienstmilieu, also dem FSB, KGB oder der GRU.
Und wenn wir schon über bei der GRU sind, müssen wir auch über die Einheit 74455 reden.
Arbeitet da auch ein Agent 007?
Nein, James Bond wäre ja auf der guten Seite. Die Hackergruppe 74455 ist auch als „Sandworm“ bekannt und gehört zum russischen Militärgeheimdienst GRU. Vergangenes Jahr bekannte sich eine Gruppe namens „Cyber Army of Russia Reborn“ zu mehreren Cyberangriffen auf die Wasserversorgung in Frankreich, Polen und den USA. Sie hackten sich in die Systeme, legten Schalter um und änderten Softwareeinstellungen. Es ist unklar, welchen Schaden sie genau anrichteten, aber alleine die Tatsache, dass sie sich Zugang zu einer kritischen Infrastruktur wie der Wasserversorgung verschaffen konnten, ist beunruhigend. Laut der Computerzeitschrift Wired hat diese Gruppe Verbindungen zur Einheit 74455.
Aber nicht alle, die im hybriden Krieg mitmischen, sind schlaue Hacker, die sich in komplizierte Systeme einschleusen.
Brauchst du zufälligerweise gerade Geld?
Unbedingt, meine Waschmaschine ist gestern kaputtgegangen.
Dann habe ich ein Angebot für dich. Ich schicke dir ein paar Sticker mit dem Aufdruck „Fuck NATO“ zu und du klebst sie in Brüssel in der Nähe des Nato-Hauptquartiers an Straßenlaternen. Dafür bekommst du 50 US-Dollar in Kryptowährung.
Ähhh …
Genau so laufen diese Aktionen ab. Für das Recherchenetzwerk EBU arbeitete ein belgischer Journalist monatelang daran, sich das Vertrauen einer Gruppe auf Telegram zu erschleichen. Er musste mehrere Interviews geben, bei denen er vorgab, ein Russland-Sympathisant in Brüssel zu sein. Dann wurde ihm das Paket mit zehn Aufklebern geschickt, die er in Brüssel verkleben sollte.
Die Personen, die diese Art von Sabotage betreiben, nennt man „Low Level Agents“ oder auch „Wegwerf-Agenten“. Das sind Personen, die für niedrigschwellige Aktionen angeworben werden. Wenn sie auffliegen, ist das nicht so schlimm für die Drahtzieher im Hintergrund, die meistens im Dunkeln bleiben.
Seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine haben europäische Länder Hunderte von russischen Spion:innen ausgewiesen, die offiziell für die russischen Botschaften arbeiteten. Von dem ehemals großen Spionagenetzwerk ist nicht mehr viel übrig. Deshalb muss Russland verstärkt auf unkonventionelle Methoden zurückgreifen. Wie zum Beispiel mit Wegwerf-Agenten.
Was ist eigentlich mit den Anschlägen vor der Bundestagswahl? Ich habe gehört, dahinter steckt auch Russland.
2024 und 2025 gab es mehrere Anschläge in Deutschland: in Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München. Sie haben die politische Debatte vor der Wahl maßgeblich beeinflusst. Friedrich Merz (CDU), der neue Bundeskanzler, forderte nicht nur eine deutlich härtere Asyl- und Grenzpolitik, er nahm auch Mehrheiten mit der AfD in Kauf, um Anträge dazu durch den Bundestag zu bringen. Dafür hagelte es heftige Kritik von allen Seiten (außer von seiner Partei und der AfD).
Der Sicherheitsexperte und Notfallseelsorger Jörg Trauboth sagte im Sender Phoenix: „Ich vermute, dass durch die Häufung dieser gesamten Anschläge ein System dahintersteckt.“ Trauboth kann sich vorstellen, dass die Anschläge Auftraggeber haben und der Wahlausgang in Deutschland beeinflusst werden sollte.
Diese Vermutungen klingen für viele deshalb plausibel, weil der russische Militärgeheimdienst GRU nach Spiegel-Informationen bereits Menschen in Afghanistan für Anschläge bezahlte, um das Land zu destabilisieren. Mehrere Männer mit Verbindungen zu dieser Einheit leben inzwischen als afghanische Flüchtlinge in Deutschland.
Die ZDF-Sendung „Terra X History“ veröffentlichte im April 2025 eine Recherche, nach der es vor dem Messeranschlag in Mannheim verdächtige Suchanfragen aus Russland gegeben haben soll, die auf Täterwissen schließen lassen. So soll jemand nach „Anschlag Deutschland“ oder „Michael Stürzenberger Anschlag“ gesucht haben – und zwar vor dem Anschlag auf Michael Stürzenberger. Der Bundesnachrichtendienst äußerte sich jedoch im Nachgang kritisch dazu und zweifelte daran, dass die Methoden des ZDF zu aussagekräftigen Rückschlüssen führen könnten.
Insgesamt ist also unklar, ob Russland hinter den tödlichen Anschlägen in Deutschland steckt. Einige vermuten es, beweisen kann es niemand.
Ich habe mir jetzt gemerkt: Zu hybridem Krieg gehören Cyberangriffe, Brandanschläge, Spionage, Sabotage und Desinformation.
Richtig. Aber das ist noch lange nicht alles. Um wirklich zu verstehen, wie vielfältig und teilweise unerwartet hybride Kriegsführung sein kann, solltest du noch diese Beispiel kennen:
- Im Juli 2024 berichtete der US-amerikanische Fernsehsender CNN, dass Russland vorhatte, Armin Papperger zu ermorden, den Vorstandsvorsitzenden des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Die USA informierten Deutschland, und die Sicherheitsbehörden konnten den Anschlag verhindern.
- In der Ostsee häufen sich Vorfälle, bei denen Schiffe Unterseekabel beschädigen. Die Besatzung behauptet zum Beispiel, das das Schiff seinen Anker verliert und zieht ihn dann kilometerweit über den Meeresboden. Expert:innen vermuten gezielte Sabotage.
- Das rumänische Verfassungsgericht annullierte im vergangenen Jahr die Präsidentschaftswahlen, nachdem ein rechtsextremer, russlandfreundlicher Kandidat gewonnen hatte, der in Umfragen vorher nur einstellige Ergebnisse erzielt hatte. Der rumänische Geheimdienst vermutete eine orchestrierte Tiktok-Kampagne, gesteuert von Russland. Die EU leitete ein Verfahren gegen Tiktok ein.
- Im Juli 2024 schloss Finnland die Grenze zu Russland für Flüchtende. Die finnische Regierung begründete das damit, dass Russland „hybride Kriegsführung betreibe“, indem es gezielt Migrant:innen zur Grenze schleuse. Eine ähnliche Situation gibt es an der belarussisch-polnischen Grenze. Im März 2025 schränkte Polen deshalb das Recht auf Asylanträge an der Grenze ein.
- Als Bill Browder, ein britischer Geschäftsmann, in den 2000er Jahren damit begann, Wladimir Putin öffentlich zu kritisieren, wurde er mit sogenannten Red Notices geflutet. Das sind Anfragen der Mitgliedsländer oder internationaler Gerichte an Interpol, eine bestimmte Person zu suchen und vorläufig festzunehmen, bis sie ausgeliefert wird.
„Red Notice“? Das ist doch eine Action-Komödie mit Dwayne Johnson, Gal Gadot und Ryan Reynolds?
https://youtu.be/OBK7Az8plzo?si=T6YSU9xRwaxZxPhy
Der Film, in dem es um Kunstdiebstahl geht, war 2021 der meistgesehene Film auf Netflix. Interpol spielt darin eine Rolle, außerdem explodieren Sachen. Sonst hat der Film aber nicht so viel mit hybridem Krieg zu tun.
Der Fall von Bill Browder, der mit Red Notices geflutet wurde, ist ein gutes Beispiel für „Lawfare“, eine Wortneuschöpfung aus den Begriffen „law“ (Gesetz) und „warfare“ (Kriegsführung). Darunter versteht man, dass jemand Gesetze und Justizsysteme für bösartige Zwecke ausnutzt. Zum Beispiel, um einem Kritiker in einem anderen Land das Leben schwer zu machen.
Langsam habe ich das Gefühl, so ziemlich alles kann im hybriden Krieg zur Waffe werden.
Der britische Historiker und Russlandexperte Mark Galeotti hat ein Buch über hybriden Krieg geschrieben, es heißt „The Weaponisation of Everything“. Auf Deutsch heißt das sowas wie „Die Waffifizierung von allem“. Also ja, alles kann zur Waffe werden.
Galeotti schreibt: „Kriege ohne Kriegsführung, nicht-militärische Konflikte, die mit allen möglichen anderen Mitteln ausgetragen werden, von Sabotage bis zu Sanktionen, von Memes bis zu Mord, könnten zur neuen Normalität werden.“
Mir ist erst richtig klar geworden, was das bedeutet, als ich an einem Wargame teilgenommen habe.
Wargame? Ist das sowas wie Paintball, wo sich Leute zum Spaß Tarnanzüge anziehen und mit Farbpatronen abschießen?
Das Wargame, an dem ich teilgenommen habe, war mehr wie Siedler von Catan. Wargames sind Planspiele, die dazu dienen, Szenarien durchzugehen und Entscheidungen zu üben. Entwickelt und geleitet hat das Wargame Sönke Marahrens, der mich dazu eingeladen hat, als ich ihn für ein Interview anfragte. Marahrens ist Experte für hybride Kriegsführung am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. „Man kann das Spiel nicht gewinnen“, sagt Marahrens.

Erinnert an Siedler von Catan, macht aber wegen der realen Szenarien weniger Spaß. | © Isolde Ruhdorfer
Nach ein paar Stunden wurde mir klar, was er damit meinte. In dem Wargame griff uns Russland an: mit einer Fake-News-Kampagne auf Social Media, mit einem orthodoxen Priester, der seine Gemeinde gegen die Regierung aufbrachte oder mit einem Cyberangriff auf ein Schifffahrtsunternehmen.
Wir mussten uns Gegenstrategien überlegen und würfelten dann. Vereinfacht gesagt hatte immer die Seite mit der höheren Zahl Erfolg. Doch selbst wenn wir die Attacken abwehrten, kamen immer neue. Wir reagierten nur. Immer und immer wieder. Und wir wussten nie, von wo der nächste Angriff kommen würde. Das ist auch in der echten Welt ein Problem, denn es gibt keine deutsche oder europäische Gegenstrategie.
Wenn wir die ganze Zeit angegriffen werden, was ist dann mit dem Artikel 5 des Natovertrags? Wenn ein Land angegriffen wird, gilt das als Angriff auf das gesamte Bündnis. In dem Begriff „hybrider Krieg“ steckt schließlich das Wort „Krieg“.
Wenn Russland eine Rakete nach Berlin schicken und ein Krankenhaus in Schutt und Asche legen würde, dann wäre allen klar: Das ist ein Angriff. Krieg. Die Nato würde Artikel 5 aktivieren und zu einem Gegenschlag ausholen.
Aber was ist, wenn Hacker dieses Krankenhaus angreifen und alle Server verschlüsseln? Wenn die Notaufnahmen daraufhin niemanden mehr aufnehmen? Wenn Verletzte und Kranke deshalb in weiter entfernte Krankenhäuser fahren müssen und sterben, weil sie nicht schnell genug behandelt werden? Wie viele Menschen müssen sterben, bis der Cyberangriff als Kriegserklärung gilt?
Moment mal, ich stelle hier die Fragen. Sag du es mir!
Niemand weiß das. Und das ist das Problem an hybriden Methoden, sie verwischen die Grenze zwischen Krieg und Frieden. Viele verstehen Krieg und Frieden als zwei Zustände, wie Null oder Eins. Dabei gibt es Graustufen dazwischen. Alle hybriden Methoden bewegen sich in diesem Graubereich. Sönke Marahrens sagte mir: „Wir scheitern an unserer eigenen Definition von Krieg.“
Aber irgendwie müssen wir uns doch schützen können!
Das dachte ich mir im Laufe der Recherche immer wieder. Aber egal, wie oft ich fragte, die Antwort lautete immer: Das ist leider ziemlich schwierig.
Ich lese hier seit 20 Minuten einen Text, in dem du mir erklärst, auf wie vielen Ebenen Russland Europa angreift, nur damit du mir am Ende sagst, dass wir uns dagegen nicht wehren können?
Okay, ein paar Möglichkeiten gibt es. Man kann versuchen, konkrete Angriffe zu verhindern, von denen man ausgeht, dass sie sich wiederholen werden. Zum Beispiel hat die Nato ihre Präsenz in der Ostsee erhöht, um verdächtige Schiffe besser überwachen zu können. Unternehmen und Behörden sollten ihre Infrastruktur absichern und sich gegen Cyberangriffe wappnen. Die Geheimdienste verhindern Anschläge, wie etwa auf den Rheinmetall-Chef Papperger.
Was kann ich konkret tun?
In einer Umfrage, die ich für die Recherche unter Krautreporter-Mitgliedern durchgeführt habe, war das eine der häufigsten Fragen.
Du kannst natürlich keine explodierenden Pakete aufhalten oder Anschläge vereiteln. Aber viele der hybriden Attacken zielen darauf ab, die Gesellschaft zu spalten und damit die Demokratie zu schwächen. Konkret kannst du dich dagegen wehren, indem du dich darüber informierst, wie du Desinformation erkennst. Mein Kollege Rico Grimm hat in diesem Artikel zehn Tipps für einen Schnellcheck von Informationen gesammelt. Und ich habe in diesem Text russische Propaganda verständlich erklärt.
Je weniger sich die Menschen in Deutschland gegeneinander aufbringen lassen und je resilienter die Gesellschaft ist, desto schwerer hat es Russland mit seinen Angriffen. Du kannst in deinem direkten Umfeld dazu beitragen, gesellschaftliche Debatten respektvoll auszutragen, sodass Russland sie nicht kapern und zur Spaltung beitragen kann.
Ich kann es auch positiver formulieren: Je gerechter unsere Gesellschaft ist, desto weniger Schwachstellen haben wir, die Russland ausnutzen kann. Du als Bürger:in kannst dazu beitragen.
Na, wenns weiter nichts ist.
Humor kann auch helfen! Das schreibt sogar das Hybrid CoE in Helsinki, das Europäische Kompetenzzentrum für die Bekämpfung Hybrider Bedrohungen. Hier ein Witz, passend zu Marsalek:
Wie nennt man einen Spion aus Österreich? Wiener Spitzel.
Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger und Florian Walter