Collage: Eine Schule auf rotem Hintergrund. Davor sind Ausschnitte von Zeitungsartikeln oder Anfragen an den Landtag.

Jason Dent, Marjan Blan/Unsplash, Pgiam/Getty Images, Schlagzeile: merkur.de, Kleine Anfrage rechts: Bürgerschaft Hamburg.

Kinder und Bildung

Mit diesen vier Methoden schüchtert die AfD Lehrkräfte ein

Wir haben in den vergangenen Monaten unzählige vermeintliche Einzelfälle analysiert. Nun ist klar: Der Angriff der Rechtsextremen auf das Schulsystem folgt einem klaren Muster.

Profilbild von Bent Freiwald und Lea Schönborn

Simone Weber liegt schon im Urlaub an der Ostsee, als ihre Schulleiterin anruft. Weber ist Lehrerin und es sind Sommerferien. Normalerweise meldet sich niemand von der Schule in dieser Zeit. Aber am Telefon sagt die Schulleiterin: Im Landtag gibt es eine Kleine Anfrage. Es geht um die Sticker auf ihrem iPad. Sticker wie: „Kein Mensch ist illegal“, „Stoppt Rassismus“ oder „Hi. Don’t be racist. Thanks!“

Der AfD-Politiker Joachim Paul schreibt in der Anfrage, dass diese Aufkleber politische Botschaften vermitteln würden. Er bezeichnet sie als „Antifa-Aufkleber“ und behauptet, sie würden dem Neutralitätsgebot widersprechen. Der AfD-Politiker wollte wissen, ob die Aufkleber zum Anlass genommen werden, Weber zur Einhaltung des Neutralitätsgebotes zu verpflichten. Die Lehrerin muss ihrer Schulleiterin ein Foto des iPads schicken. Antifa-Aufkleber sind dort nicht zu sehen. Aber sie soll sich, so erinnert sich Weber, laut der Schulleiterin bitte künftig nicht mehr politisch äußern.

Was auf den ersten Blick wirkt wie ein banales Missverständnis über ein paar Sticker, scheint Teil einer gut orchestrierten Strategie der AfD zu sein. Die AfD macht Schulen zu einem Machtinstrument. Solange sie noch keine Regierungsverantwortung trägt, scheint die Partei über Landtage und die Öffentlichkeit zu versuchen, Einfluss auf Unterrichtsinhalte und das Schulklima zu nehmen. Denn in den Schulen der Republik werden Werte vermittelt, politische Urteile geprägt und Biografien mitentschieden. Wer die Schule kontrolliert, prägt die Gesellschaft von morgen – diese Logik scheint die AfD anzutreiben.

Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale haben wir in den vergangenen Monaten recherchiert, wie die AfD in Schulen Angst schürt und Lehrkräfte einschüchtert, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Hier zeigen wir, mit welchen vier Methoden sie arbeitet.

Methode 1: Die Angst vor dem Meldeportal

„Verblendete Ideologen unter den Lehrern lassen wir uns nicht mehr gefallen“, sagte Alexander Wolf, Vorsitzender der AfD-Fraktion in Hamburg, im Mai 2018. Und kündigte damit die „interaktive Plattform zur Stärkung demokratischer Meinungsvielfalt an Hamburger Schulen“ an. Schüler:innen konnten dort ihre Lehrkräfte melden, wenn diese sich vermeintlich zu politisch äußerten. Damit sollten sie laut AfD eine Möglichkeit bekommen, sich gegen Lehrkräfte zu wehren, die sie politisch beeinflussen wollten. Schüler:innen sollten ihre Lehrkräfte denunzieren, sagten die Kritiker:innen.

Von Beginn an stand eines im Mittelpunkt der Meldungen: die Kritik an der Partei selbst. Der damalige baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple beispielsweise schrieb auf seiner eigenen Website: „Dein Lehrer hetzt gegen die AfD? Das darf er nicht! Er muss als Lehrer politisch neutral sein. Hier darfst du Hetze gegen die AfD melden!“ Die Schüler:innen konnten Belege hochladen, in Form von Screenshots oder auch Audiodateien, wenn sie Sprachaufnahmen ihrer Lehrkräfte gemacht hatten. Die Hinweise landeten direkt bei der AfD. Es folgten Portale in Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg gingen die Portale online, wurden anschließend aber verboten.

Die Portale veränderten den Schulalltag. In Hamburg wurde über das AfD-Portal gemeldet, dass an der Ida Ehre Schule im Stadtteil Hoheluft-Ost eine verfassungsfeindliche linksextremistische Antifa-Gruppierung aktiv sei. Die Hinweisgeber hätten Angst vor Bedrohungen und sich deshalb hilfesuchend an die AfD-Bürgerschaftsfraktion gewandt. Diese schrieb eine Kleine Anfrage an den Senat, in der 16 Fotos von Aufklebern im Schulgebäude den Linksextremismus belegen sollen. Das Hamburger Abendblatt titelte: „Linksextremisten betreiben ungestört Propaganda an Schule“.

Gegen die Aktivitäten linker Antifa-Gruppen an Schulen könnten auch andere Parteien vorgehen. Das allein ist nicht außergewöhnlich. Erstaunlich schnell aber war die Reaktion vom damaligen Schulsenator Ties Rabe (SPD). Der ließ über die Schulaufsicht die Aufkleber kurzerhand entfernen, offenbar ohne sich zuvor mit dem Schulleiter, der Oberstufenleiterin oder der Klassenlehrerin abzusprechen. Die Behörde ordnete eine Schulkonferenz an, bei der es um die Beachtung des Neutralitätsgebotes gehen sollte. Und die Hamburger Bürgerschaft diskutierte über eine Stunde lang in Anwesenheit vieler Schüler:innen und Lehrkräfte über die Vorgänge. Noch im gleichen Monat gab es eine rechtsextreme Bombendrohung gegen die Schule.

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Später stellte sich heraus: Die Aufkleber waren wohl Teil eines Projektes, bei dem die Schüler:innen politische Propagandamaterialien von Parteien und Bewegungen sammeln sollten, die anschließend besprochen wurden. Die Sammlung war Teil des Unterrichts. Sabine Boeddinghaus, schulpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion, sagte damals: „Da erwarte ich von der zuständigen Behörde die entsprechende Unterstützung und nicht eine öffentliche Maßregelung auf Zuruf eines widerlichen AfD-Hetzportals.“

Die Portale sind heute noch teilweise online und erfüllen für die AfD ihren Zweck. Fast alle unserer Gesprächspartner:innen, egal, ob Expert:innen oder Lehrkräfte, erwähnten die Meldeportale. Nina Gbur vom Netzwerk für Demokratie und Courage sagte uns: „Die Meldeportale sind einer der größten Erfolge der AfD. Alle Lehrer wussten: Ich laufe Gefahr, dass mich irgendjemand meldet.“

„Die AfD habe mit ihren Melde- und Denunziationsplattformen ein Klima der Verängstigung und Beunruhigung geschaffen“, schreiben die Politikwissenschaftlerinnen Gudrun Hentges und Bettina Lösch von der Universität zu Köln. „Die Meldeportale verändern demokratische Werte, dienen der Denunziation und Diffamierung, verletzen den Schulfrieden sowie Persönlichkeitsrechte und können in diesem Sinne unserer Auffassung nach auch als spezifische Formen von Hate Speech eingeordnet werden.“

Methode 2: Das Bestehen auf Neutralität

Das erste Meldeportal ging vor sieben Jahren online, aber die Debatte über die Neutralität von Lehrkräften wird heute immer noch geführt – angetrieben von der AfD. In einem Clip vom hessischen AfD-Politiker Heiko Scholz heißt es 2024: „Lehrer sind zur politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität verpflichtet!“ Und: „Wenn eure Lehrer nicht politisch neutral sind, dürft ihr euch wehren!“

Die Forderung nach politischer Neutralität in Schulen scheint in erster Linie dazu zu dienen, eine kritische Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD zu verhindern. Die Partei fordert ein neutrales, scheint aber ein autoritär-nationalistisches Verständnis von Schule zu meinen.

Um ihre politischen Ziele zu erreichen, scheint die AfD unter anderem Unschärfen im sogenannten Beutelsbacher Konsens zu nutzen. Das ist ein in den 1970er Jahren formulierter Minimalkonsens für den Politikunterricht in Deutschland. Dieser Konsens umfasst zusammengefasst folgende Punkte:

  1. Schüler:innen dürfen nicht überwältigt werden von der politischen Position der Lehrkraft, man darf sie also nicht indoktrinieren.

  2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss außerdem auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

  3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.

Der Beutelsbacher Konsens ist nicht eindeutig und kann unterschiedlich ausgelegt werden. Die Politikwissenschaftlerin Bettina Lösch sagt auch: „Der Beutelsbacher Konsens ist kein Gesetz. Außerdem steht da das Wort Neutralität gar nicht drin.“ Wenn eine Partei sich demokratiegefährdend äußert, müssten sich Lehrkräfte sogar dagegen positionieren. Durch das permanente Fordern von Neutralität bringt die AfD radikale Ansichten in den Diskurs ein, als wären sie ein ganz normaler Aspekt einer Debatte.

Seit die AfD die Neutralität der Lehrkraft in die Öffentlichkeit getragen hat, verweisen Deutschlands Schulbehörden und Schulleitungen trotzdem immer wieder auf den Beutelsbacher Konsens, wenn Lehrkräfte sich vermeintlich politisch äußern oder die AfD nicht zu Podiumsdiskussionen mit Schüler:innen eingeladen wird. Auch wenn Gewerkschaften und Verbände den Darstellungen der AfD widersprechen – die AfD hat eine deutlich größere Reichweite als sie. Bei vielen Lehrer:innen bleibt hängen: Ich muss neutral sein. Und die AfD zu kritisieren, ist nicht neutral.

Methode 3: Verunsicherung durch Dienstaufsichtsbeschwerden

Im Januar 2024 schrieb Georg Grimm eine Nachricht an die Schüler:innen der drei Oberstufen-Jahrgänge seines Gymnasiums in Bayern. Der Lehrer hatte von einer Demo gehört, auf die er seine Schüler:innen hinweisen wollte. Eine Demonstration für Demokratie und Vielfalt und gegen Nazis.

In der Woche nach der Demo rief ihn sein Schulleiter ins Büro. Er legte eine Mail auf den Tisch, sie stammte vom Kreisvorstand der AfD. Der beschwerte sich über seinen Aufruf zur Demo. Anschließend stellte er dem Schulleiter noch Fragen zu Grimm. Unter anderem, welche Maßnahmen nun gegen ihn eingeleitet werden würden. Der Schulleiter gab das Schreiben weiter an den Ministerialbeauftragten und das Kultusministerium. Grimms Schule musste sich rechtfertigen.

Dienstaufsichtsbeschwerden sind eine gute Sache. Es geht darum, Fehlverhalten von öffentlich Bediensteten möglichst unkompliziert, das heißt frist- und formlos bei der zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden. Dienstaufsichtsbeschwerden können von allen Menschen eingereicht werden. Das Recht darauf ist im Grundgesetz verankert. Wie eine rechtsextreme Partei dieses Recht instrumentalisieren könnte, wurde bei der Festschreibung des Rechts wahrscheinlich nicht bedacht.

Unsere Analyse legt nahe, dass die AfD Dienstaufsichtsbeschwerden als Werkzeug nutzt. Die Partei beschäftigt damit die Schulaufsicht und verunsichert Lehrkräfte.

Denn Dienstaufsichtsbeschwerden müssen gelesen und bearbeitet werden. Wie genau, liegt aber in den Händen der jeweiligen Schulaufsicht. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hamburg hat das Vorgehen der Hamburger Behörde im Fall der Ida Ehre Schule scharf kritisiert. Das ist jene Schule, der die AfD linksextremistische Aktivitäten nachgesagt hatte. Die in der Behörde eingegangenen Beschwerden seien an die Lehrkräfte weitergeleitet worden und das, obwohl bereits klar gewesen sei, dass sie keinen Bestand hätten. In Köln stellte die Bezirksregierung auf eine Beschwerde der AfD hin den Schulleiter Martin Süsterhenn vor die Wahl, einen AfD-Politiker zu einer Podiumsdiskussion einzuladen – oder diese ganz abzusagen.

Hier kommen also zwei Sachen zusammen: die AfD, die Dienstaufsichtsbeschwerden als willkommenes Beschwerde- und Angstmittel entdeckt hat, und Behörden, die den Beschwerden nachgehen müssen und sich zu oft nicht hinter die betroffene Lehrkraft stellen. Auch wenn sich eine Beschwerde als nicht haltbar erweist, hinterlässt sie doch Spuren bei denjenigen, die sie erreicht. Denn nicht alle sind so gelassen wie Andreas Golus-Steiner, Schulleiter der Fichtenberg-Oberschule in Berlin-Steglitz, der über Dienstaufsichtsbeschwerden sagt: „Wer keine hatte, war kein Schulleiter.“

Methode 4: Die Lehrkräfte zum Thema im Landtag machen

Im Frühjahr 2021 hingen an verschiedenen Kölner Schulen Fahnen. Auf ihnen stand: „Kein Veedel für Rassismus“. Daraufhin reichte die AfD eine Kleine Anfrage bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung ein. Und dann noch eine, als der AfD die Antwort der Landesregierung in NRW nicht gefiel.

Veedel ist das kölsche Wort für Viertel und die Fahnen wurden im Rahmen einer Aktion gegen Rassismus aufgehängt. In den Antworten auf die beiden Anfragen blieb die nordrhein-westfälische Landesregierung beharrlich. Sie schrieb auf die Frage der AfD, ob die Landesregierung „Maßnahmen z.B. disziplinarischer Art einleiten“ würde, „um das Hissen und die anderweitige Nutzung dieser Fahne an den Schulen zu stoppen?“ schlicht: „Nein.“

Das ist aber nicht immer so.

Eine Hamburger Schule gestaltete im Rahmen eines Kunstprojekts ein Magazin. Darin soll eine Schülerin abgebildet worden sein, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „AfD Alternative für Dummheit“ trug. Die AfD wollte daraufhin in der Hamburgischen Bürgerschaft wissen, welche Kosten für das Drucken des Shirts aufgewendet worden seien, wer die Kosten getragen habe und ob das alles gegen das sogenannte Neutralitätsgebot verstoße. Der Hamburger Senat hat daraufhin tatsächlich eine Umfrage unter den Projektbeteiligten beauftragt. Die Schüler:innen, die zwei Künstlerinnen und die begleitende Kunstlehrerin mussten die Fragen der AfD beantworten.

Die Liste Kleiner Anfragen der AfD in allen Bundesländern, die Schulen oder Lehrkräfte als Ziel haben, ist lang. Aufhänger für Kleine Anfragen können alles Mögliche sein: antirassistische Plakate in Schulfluren, Regenbogenfahnen an Schulgebäuden, Elternbriefe, in denen auf eine Kleiderordnung hingewiesen wird, die Kleidungsstücke extremistischer Gesinnungen verbietet, oder die vermeintlich fehlende Neutralität von politischen Bildungsprojekten. Sogar eine Schulleiterin, die in einem Elternbrief gegendert hatte, war schon Teil einer Kleinen AfD-Anfrage.

Die AfD machte auch aus der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Georg Grimm, dem Lehrer aus Bayern, eine Kleine Anfrage. Grimm sagt: „Das war ein gruseliges Gefühl: zu wissen, dass eine Partei mich in einer Anfrage im Landtag namentlich nennt, Vorwürfe formuliert, aber nicht zu wissen, was genau da drin steht.“

Parteien können im Bundestag und in den Landtagen Kleine Anfragen stellen, sobald sie die Fraktionsgröße erreicht haben. Sie stellen Fragen an die Regierung, die innerhalb einer Frist darauf antworten muss. Die Fristen variieren zwischen acht Tagen (in Hamburg) und sechs Wochen (in Hessen). Kleine Anfragen sind elementar für unsere repräsentative Demokratie. Es geht um die Kontrolle von Machtinstanzen – eigentlich. Aber die AfD kontrolliert nicht die Mächtigen, sondern die Lehrkräfte in den Schulen.

Die Botschaft an die Lehrkräfte ist deutlich: Wir sehen, was ihr in den Schulen macht.

Die vier Methoden der AfD zeigen, wie sehr Schulen im Fokus der AfD stehen. Im zweiten Text unseres Reports zeigen wir, welche Auswirkungen das auf Lehrkräfte hat. Dafür haben wir mit denjenigen gesprochen, die sich gegen rechts wehren.


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Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos.

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