Neulich stand ich in der Küche, als eine Freundin zu mir sagte: „Ich bin gerade in der Follikelphase.“ Dabei umarmte sie eine Wärmflasche. Ein paar Tage später verkündete mir eine Kollegin, sie hätte ihr Bewerbungsgespräch dank „Eisprung-Power“ gemeistert.
Ich kriege bei solchen Gesprächen auch Bauchschmerzen, und das liegt nicht an meinen Hormonen. Ja, es ist richtig gut, dass immer mehr Frauen heute wissen, dass es verschiedene Zyklusphasen gibt und was sie bedeuten. Ich freue mich, dass man heutzutage offen sagen kann: „Ich habe PMS“ und auch Männer wissen, dass das keine Spielekonsole ist.
Doch je mehr Instagram-Werbungen ich sehe, die mir „hormonsensibles Zeitmanagement“ versprechen, je penetranter die Drogeriefiliale bei mir um die Ecke „Hautpflege im Zyklus“ bewirbt, desto mehr beschleicht mich ein ungutes Gefühl.
Es ist nämlich ziemlich heikel, wenn die Idee zum Trend wird, dass Frauen den Launen ihrer Hormone unterworfen sind. Die Industrie hat genau das als Geschäftsmodell entdeckt. Und verkauft uns alte sexistische Vorurteile als Empowerment.
Von Menotoxin zu Menstruationsschokolade
1874 erklärte der britische Arzt Henry Maudsley, da Frauen menstruierten, seien sie „ein Viertel jeden Monats mehr oder weniger krank und unfähig zu harter Arbeit“ und zwar nicht nur körperlich, sondern auch geistig.
Was für ein praktisches, superwissenschaftliches Argument, um Frauen aus Ämtern, Universitäten und Flugzeug-Cockpits fernzuhalten! Noch im 20. Jahrhundert glaubten Menschen, Frauen sollten während ihrer Tage aufpassen, was sie anfassten, Blumen würden sonst welken, Milch würde sauer, Hefeteig schlecht werden. Bis in die 1970er Jahre wurde in der Forschung über „Menotoxin“ diskutiert, ein „Menstruationsgift“, das angeblich im Blut und Schweiß menstruierender Frauen enthalten sei. Dieses Gift gibt es nicht. Und der Zyklus beeinflusst auch nicht die Denkleistung. Wer dafür noch einen Beleg braucht, kann sich diese Metastudie von 2025 mit fast 4.000 Teilnehmenden ansehen. Das Ding ist nur: Die Industrie interessiert das nicht.
Immer schön in Balance bleiben
Wo Hormone früher der Grund waren, Frauen auszuschließen, sind sie heute der Grund, ihnen etwas zu verkaufen. Statt „zu krank zum Arbeiten“ heißt es jetzt: „Optimiere deinen Zyklus“, oder: „Reguliere sanft deine Hormontätigkeit.“ Die Botschaft bleibt: Dein Körper ist ein Problem. Aber hey, wir haben die Lösung. Für 49,99 Euro im Monat gibt es da ein Pulver mit „biologischem Vitalstoff-Komplex“. Oder wie wäre es mit, hihi, Menstruationsschokolade?
2024 flossen laut einem aktuellen Branchenreport mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar in Femtech-Unternehmen – viermal so viel wie 2015.
Hormonmarketing ist auch deswegen erfolgreich, weil es einen Schmerz aufgreift. Über Jahrhunderte wurden Frauen in der Medizin ignoriert, ihre Bedürfnisse und Rechte verletzt. „Stell dich nicht so an!“, hieß es oft, wenn Frauen litten. Und eine faire Behandlung? Gab es oft nicht. Immer noch hinkt die Forschung beim Thema Frauengesundheit hinterher.
Der Trend, sich endlich bewusst zu machen, wie Hormone uns beeinflussen, ist also eigentlich super. Er kann helfen, den eigenen Körper besser zu verstehen. Hormonmarketing aber vermittelt die alte Botschaft, der weibliche Hormonhaushalt sei ein Problem, das es zu lösen gilt.
Erst die Cycle-Tracking-App, dann Hormontests, später die Wechseljahresdiät namens „Menomagic“. Aus der alten Angst vor der „hysterischen“ Frau ist das Versprechen der „balancierten Frau“ geworden. Eine, die ihre Hormone in jeder Lebensphase perfekt im Griff hat. Immer produktiv, immer ausgeglichen. Und wer mit Bauchschmerzen einfach grimmig auf dem Sofa liegen möchte oder sich keine PMS-Gummibärchen leisten kann? Ist selbst schuld.
Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer