Bahn Mitarbeitende zeigt rote Kelle, dahinter ein Zug, Fesnter mit Emotes

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Psyche und Gesundheit

Im ICE: Bitte nicht auch noch Mitgefühl!

87 Minuten Verspätung, und der Schaffner erzählt von seinen Problemen.

Profilbild von Astrid Probst
Gesellschaftsreporterin

Neulich im ICE der Deutschen Bahn erlebte ich mal wieder, was man so erlebt, wenn man mit der Deutschen Bahn fährt. Der Zug hatte Verspätung. „Sehr geehrte Fahrgäste, Sie haben es schon gemerkt, wir stehen mehr als wir fahren“, schallte die Stimme eines Bahnmitarbeiters durch die Waggons, „und glauben Sie mir, auch ich habe keinen Bock mehr. Mein Arbeitstag ist schon lang genug und wird jetzt noch länger. Sie sehen also, wir sitzen im gleichen Boot – äh, ich meine natürlich Zug.“ Auf Stirnrunzeln folgten Gelächter und hier und da mitleidige Blicke, als der Mann weiter darüber sprach, wie gerne er nun zu Hause bei Frau und Kind wäre.

Na gut. Schon 87 Minuten Verspätung, aber wenigstens leidet der Bahnmitarbeiter mit mir.

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihre Wut an anderen auslassen, die weder die Wut erzeugt haben, noch das Problem beseitigen können, die diese erzeugt hat. Anders gesagt: Was hilft es mir, den Bahnmitarbeiter blöd anzumachen? Er ist nicht schuld daran, dass wir verspätet sind. Das Triebwerk spinnt halt. Und er würde es sicher reparieren, wenn er könnte. Durch Schimpfen komme ich also auch nicht schneller an und, das gestehe ich diesem Bahnmitarbeiter zu, er will ja auch heim. Aber. Aber. Aber …

Aber ich gehöre auch zu den Menschen, die stutzen, wenn Empathie als Waffe eingesetzt wird. Wenn der Bahnmitarbeiter mir eben erzählt, dass er jetzt auch lieber zuhause wäre. Versteht mich nicht falsch: Ja, der gute Mann hat ein Recht auf Feierabend. Aber (ich sehe schon, dieser Text hat zu viele „aber“, es werden weniger, versprochen), aber man könnte sagen, das ist nun mal sein Berufsrisiko, so wie es meines ist, dass ich in Kommentarspalten angegriffen werde. Und ich habe nun mal verdammt viel für diese Bahnfahrt von München nach Berlin gezahlt, bin sehr früh aufgestanden, um einen Zug zu nehmen, der mit eineinhalb Stunden Puffer vor einem Termin ankommt und saß, als der Termin stattfand, am Ende doch im Zug. Mit schlechtem Wlan!

Irgendwie beschleicht mich also das Gefühl, dass ich hier gleich von zwei Parteien verarscht werde. Von der Bahn, die mal wieder nicht das tut, wofür ich bezahlt habe: mich von A nach B bringen und das in der vorgeschriebenen Zeit. Und von dem Mitarbeiter, der mir, indem er sein Leid ausbreitet, jede Möglichkeit nimmt, mich in meinem Leid zu wälzen. Denn nochmal: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die andere anblaffen, wenn was schiefgeht. Das würde ich auch nicht, wenn der Bahnmitarbeiter nur nüchtern die Infos weitergegeben hätte. Doch indem er sein Leid über den Lautsprecher in Waggon 7 plärrt, sind seine Erfahrung und seine Genervtheit präsenter als die der anderen.

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Und wenn uns jemand sein Leid klagt, reagieren die meisten von uns als empathische Menschen erstmal mit Mitgefühl. Alles andere wäre frech. Genauso wie dieser Text.


Redaktion: Nina Roßmann, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion:

Im ICE: Bitte nicht auch noch Mitgefühl!

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