Eine Frau mit einem schwarzen Zensurbalken über den Augen hält Tuben mit Cremes in die Kamera.

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Psyche und Gesundheit

Warum Frauen Gesundheits-Influencern mehr vertrauen als Ärzten

Der Grund ist ein jahrhundertealter Kampf um die Frage, wer bestimmt, was gesund ist und was nicht.

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

„Du bist oft müde? Hast unreine Haut oder einen vorgewölbten Bauch? Keine Sorge, da lässt sich was machen!“

„Mit dieser einfachen 20-Minuten-Routine stärkst du deine Selbstheilungskräfte und findest deine innere Balance wieder. Nimm deine Gesundheit in die eigenen Hände!“

Das Internet ist voll mit Versprechen wie diesen. In endlosen Podcasts, Videos und Reels erklären selbsternannte Expert:innen, wie wahre Gesundheit aussieht und wie leicht sie sich erreichen lässt. Ich verlinke sie hier nicht. Du bist ihnen bestimmt schon selbst begegnet.

Die meisten dieser Gesundheitstipps laufen auf ein Produkt hinaus: Vitamine, Mineralstoffe, Selfcare-Kurse – oder wie wäre es mit einem goldenen Smart-Ring? Sieht schick aus und trackt Schritte und Schlaf. Manche werben sogar mit gefährlichen Heilsversprechen, wie dem Bioresonanzgerät Healy, das angeblich Multiple Sklerose und ADHS heilen soll.

Die Influencer:innen, die diese Dinge anpreisen, versprechen dir sogar noch viel mehr als Gesundheit.

Du sollst leistungsfähiger werden oder dich zumindest so fühlen. Die Argumentation folgt dabei einem geschickten Muster: Fühlst du dich schlapp? Dir fehlen bestimmt wichtige Nährstoffe. Dein Körper sieht nicht perfekt aus? Ein Zeichen für ein tieferliegendes Problem. Brüchige Nägel? Ja, nimmst du denn noch kein Kollagen?

Seltsam ist nur: Je mehr man den Ratschlägen der Influencer:innen zuhört, desto verwirrender wird es. Denn die Gesundheitsexpert:innen von Youtube, Tiktok und Instagram widersprechen sich gegenseitig. Aber nicht nur das. Tests von Foodwatch und der Verbraucherzentrale kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Versprechen nicht nur falsch sind, sondern auch illegal.

Trotzdem sind die (Pseudo-)Gesundheitsexpert:innen sehr erfolgreich. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung PWC wären die Hälfte der Menschen bereit, ein Produkt zu kaufen, das von Influencer:innen beworben wird und knapp ein Drittel hat das auch schon mal getan.

Aber warum?

Die überraschende Antwort führt tief in unsere Geschichte: Was heute auf Tiktok und Instagram passiert, ist die digitale Version eines jahrhundertealten Kampfes um Gesundheitswissen und um die Frage, wer bestimmt, was gesund ist und was nicht.

Wie Gesundheits-Influencer:innen Menschen überzeugen

Um zu verstehen, wie Gesundheits-Influencer:innen ihr Publikum erreichen, habe ich die Krautreporter-Leser:innen befragt. Ich wollte wissen, wie oft sie auf Posts von Gesundheits-Influencer:innen klicken und wie hilfreich sie die Ratschläge finden. Fast 500 Menschen haben an meiner Umfrage teilgenommen.

Eine Umfrage gibt an, dass 19,7.% der Befragten schon mal extra Geld ausgegeben haben, weil Influencer:innen sie davon überzeugt haben.

Insgesamt ist jede:r Fünfte der Umfrage-Teilnehmer:innen bereit, Geld auszugeben, wenn ihnen Gesundheits-Influencer:innen Produkte empfehlen. Und fast genauso viele haben auch schon wegen eines Influencer-Videos etwas gekauft. Über 80 Prozent davon sind weiblich.

Diese Ergebnisse ähneln denen von Marktforschungsinstituten, wonach circa 20 Prozent der Menschen schon einmal auf Empfehlung von Influencer:innen etwas gekauft haben.

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Noch interessanter als die Zahlen sind aber die Geschichten dahinter.

„Ich habe eine chronische Krankheit und jemand, dem ich folge, hat sie auch. Ich fühlte mich in dem Post verstanden“, schreibt eine Teilnehmerin meiner Umfrage. Ähnlich begründet eine andere Teilnehmerin ihren Kauf: „Ich habe gesundheitliche Probleme und neue Möglichkeiten haben immer einen gewissen Reiz, doch eine Verbesserung zu erzielen.“

Der wichtigste Faktor für den Verkaufserfolg ist Vertrauen. Das bestätigten Forschungsergebnisse zur Wirkung von Influencer-Marketing. Dieses Vertrauen hängt von der Glaubwürdigkeit der Influencer:innen ab und wie sehr du dich mit der Person identifizieren kannst (das nennt man: Social Proof). Eine gewisse Rolle spielt auch, wie viele Follower:innen, Kommentare und Likes der Account hat. Denn was so viel Aufmerksamkeit bekommt, kann so schlecht nicht sein, so die Logik.

Jetzt könnte man sich fragen: Und was ist mit den Belegen? Spielen Fakten über die Qualität oder Wirkung eines Produkts keine Rolle? Ist es den Käufer:innen denn egal, ob das bis zu 4.000 Euro teure Healy-Gerät überhaupt eine nachgewiesene Wirkung hat oder ein Vitaminpräparat verbotenerweise den Viagra-Wirkstoff enthält?

Ganz bestimmt ist das den Käufer:innen nicht egal. Aber wie viel Gewicht wissenschaftliche Belege und echte Fakten bei der Meinungsbildung haben, hängt stark davon ab, wer die Produkte präsentiert – und wie. Nehmen wir das Beispiel Kollagen: Wenn eine unabhängige Ärztin darüber spricht, wird sie wahrscheinlich erwähnen, dass die Wirkung wissenschaftlich umstritten ist. Dass teure Präparate nicht besser wirken als günstige Proteinquellen wie Hühnerbrust. Und dass die Werbung mit „Anti-Aging“ wissenschaftlich nicht haltbar ist.

Ganz anders läuft es, wenn eine Influencerin Kollagen-Shots für 70 Euro verkauft. Sie wird diese Einschränkungen wohl kaum erwähnen. Informationen über mögliche Nebenwirkungen stören meist nur. Stattdessen gibt es Vorher-Nachher-Bilder ihrer „Glowy Skin“.

So weit, so durchschaubar. In der Untersuchung von PWC habe ich aber noch einen anderen Grund gefunden, der zum Kaufen verleiten kann. Ich zitiere: „Knapp die Hälfte der Käufer von Produkten, die von einem Influencer beworben wurden, fühlt sich durch den Kauf als Teil einer Community.“

Dieses Bedürfnis nach Gemeinschaft hat gerade bei Gesundheitsthemen eine lange, schmerzhafte Geschichte. Denn wer vom offiziellen Gesundheitssystem ausgegrenzt oder nicht ernst genommen wird, sucht sich andere Wege. Und genau diese Erfahrung von Ausgrenzung und die Sehnsucht nach Verständnis nutzen Influencer:innen heute geschickt aus.

Warum Gruppen für die Gesundheit von Frauen besonders wichtig sind

Die Geschichte der Frauengesundheit ist auch eine Geschichte der Selbsthilfe. Jahrhundertelang gaben sich Frauen Wissen über Heilkräuter oder andere Heilmethoden weiter. Und nicht zuletzt auch Adressen von Menschen, die Abtreibungen vornahmen. Frauen bildeten Selbsthilfegemeinschaften. Und die Zugehörigkeit zu einer solchen Gemeinschaft entschied im Zweifel darüber, ob eine ganze Familie überleben konnte oder nicht.

Auch heute noch sind Frauen in besonderer Weise auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Das liegt zum einen an ihrer Doppelrolle: Sie sind nicht nur für ihre eigene Gesundheit verantwortlich, sondern kümmern sich auch um andere. Gesundheit ist traditionell mit sozialen Rollen verknüpft, die oft von Frauen eingenommen werden: Hebamme oder Krankenpflegerin sind nur zwei der Gesundheitsberufe, in denen der Frauenanteil überwiegt. Inzwischen gibt es auch mehr Medizinstudentinnen als -studenten und der Anteil an approbierten Ärztinnen nimmt stetig zu.

Wenn Frauen selbst krank werden und bei der Carearbeit ausfallen, wirkt sich das direkt auf andere Menschen aus: die Kinder, die pflegebedürftigen Eltern, den Mann, der auf der Arbeit unentbehrlich zu sein scheint. Wenn ihre Angehörigen krank werden, sind es zuerst die Frauen, die zu Hause bleiben, um sie gesund zu pflegen. Ja, Frauen sind immer noch deutlich häufiger in der Kümmerrolle als Männer.

Aber auch durch ihre körpereigenen Rhythmen sind Frauen anderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt als Männer. Menstruation, Schwangerschaft, Geburt, Menopause – wann sie wie viel Kraft für anderes haben, zum Beispiel um arbeiten zu gehen, können Frauen nicht immer zuverlässig abschätzen. Dazu kommt, dass Frauen anfälliger sind für bestimmte Autoimmunkrankheiten. Sie leiden auch häufiger unter chronischen Erkrankungen als Männer. Das Gesundheitswesen ist jedoch vor allem auf die Behandlung von akuten Krankheiten spezialisiert. Chronische Krankheiten erfordern eine andere Herangehensweise.

Diese besondere gesundheitliche Verletzlichkeit von Frauen wurde lange Zeit nicht ernst genommen. Männer schlossen sogar systematisch das von Frauen weitergegebene Gesundheitswissen aus der Medizin aus. Ein Prozess, der sich bis weit ins 20. Jahrhundert zog. Auch heute sind Medical Gaslighting und Diskriminierung von Frauen und Minderheiten im Gesundheitswesen nicht selten.

Bis heute werden körperliche Beschwerden von Frauen oft als psychische Probleme abgetan. Nicht zuletzt, weil in der Forschung große Wissenslücken zur Frauengesundheit klaffen, wie ich in diesem Artikel über die Menstruation beschrieben habe. Es wird nicht genug und nicht mit den richtigen Fragestellungen geforscht – ein Problem bis heute.

Aus dieser Not heraus entstanden über Jahrhunderte informelle Netzwerke: Die Menschen darin empfahlen einander Heilmittel und Methoden, für die es schon gute Erfahrungen gab. Dieses Erfahrungswissen war oft ihre einzige verlässliche Quelle.

„Ganzheitliche“ Methoden, „KI-optimierte Rezeptur“

Heute ist das zum Glück anders. Die moderne Medizin hat das Erfahrungswissen weitgehend durch wissenschaftliche Methoden ersetzt. Sie vollbringt heute Unglaubliches: Bei Operationen am offenen Herzen können Menschen Herzklappen von Schweinen eingesetzt werden. Trotzdem sind Wissenslücken in der Medizin nicht selten. Das liegt auch daran, wie in der Medizin getestet wird. Meist wird nur untersucht, ob ein Mittel besser wirkt als ein Placebo. Nicht, ob es besser wirkt als andere Behandlungen. Die wichtigsten Fragen für Patient:innen bleiben nicht selten unbeantwortet: Was hilft mir am besten, A oder B? (Ein Beispiel findest du in der Anmerkung).

Genau diese Wissenslücken öffnen leider den (selbsternannten) Gesundheitsexpert:innen eine Tür. Sie versprechen Lösungen, die einer näheren Überprüfung zwar oft nicht standhalten. Den Verkaufserfolg aber kaum schmälern. Besonders beliebt ist es, eine Methode als „ganzheitlich“ anzupreisen, so als würde sie nicht nur Symptome bekämpfen, sondern die wahren Ursachen der Beschwerden. Beliebt ist auch alles, was auf altem Wissen beruht oder aus dem Erfahrungsschatz von indigenen Völkern stammt. Gleichzeitig nutzen sie moderne Buzzwords: „neuartige Nano-Technologie“, „KI-optimierte Rezeptur“. Die Botschaft ist immer: Vertraue uns, wir kriegen dein Gesundheitsproblem in den Griff.

Noch stärker wirkt das Versprechen, besser ist es, wenn man mit einem Mittel eine Krankheit angeblich gleich ganz verhindern könne. Die Influencer:innen nutzen hier etwas aus, das Medizin oft sehr komplex macht: Für Beschwerden gibt es häufig mehrere Ursachen. Manchmal findet man gar keine eindeutige. Viele Probleme haben mit den Genen und dem Lebensstil zu tun, das heißt: Jemand ernährt sich jahrelang ungesund, trinkt zu viel Alkohol, raucht oder hat enormen Stress und ist anfällig dafür, dass ihm das schadet. Wer sich ungesund ernährt, zu viel trinkt oder unter Stress leidet, tut das oft nicht aus mangelnder Disziplin. Dazu kommt: Belastende Lebensumstände und Geldsorgen sind ein Gesundheitsrisiko. Es ist gut belegt, dass Armut krank macht.

Die Gesundheitsindustrie und ihre Heerschar an Influencer:innen klammern diese Faktoren jedoch meistens total aus und tun so, als ob du allein verantwortlich dafür bist, wie es dir geht. Das fühlt sich sogar erst mal gut an, denn es lässt dich weniger hilflos zurück. Die Botschaft ist auch: Du kannst etwas tun und musst dich nicht auf das Gesundheitswesen oder dein Schicksal verlassen.

Mit Frauengesundheit lässt sich viel Geld verdienen

Das Gesundheitswesen hat unbestreitbar viele Probleme. Monatelange Wartezeiten auf Arzttermine, überlastete Praxen, zu wenig Zeit für Patient:innen: Diese Mängel treffen Frauen besonders hart. Sie sind in besonderer Weise stärker auf ein funktionierendes Gesundheitssystem angewiesen. Und wenn dieses System nicht funktioniert, wenden sie sich wieder verstärkt Selbsthilfegemeinschaften zu.

Viele Marketingmethoden wissen das zu nutzen. Die Gesundheitswirtschaft setzt sich gerne eins von zwei Gesichtern auf, um von ihren oft unwirksamen und manchmal schädlichen Methoden und Produkten zu überzeugen. Entweder das der gutaussehenden, fitten Frau, die ihr Leben im Griff hat oder das des sympathischen, starken (kompetenten) Mannes, der weiß, wie man sein Leben in den Griff kriegt, gerne auch Typ „Onkel Doktor“. Um die Verwirrung komplett zu machen, gibt es dazu aber auch noch echte Ärzt:innen, die ihr Wissen auf Instagram oder Youtube teilen.

Das Problem: Die Grenze zwischen echtem medizinischen Rat und cleverer Verkaufsstrategie verschwimmt. Auch seriös wirkende Ärzt:innen empfehlen manchmal lauter Produkte, die du – wie praktisch! – im Shop ihrer eigenen Website oder dem ihres Kooperationspartners kaufen sollst. Gleichzeitig können nahbar auftretende Influencer:innen durchaus evidenzbasierte Medizin vermitteln.

Wer hier guten Rat von Verkaufsmaschen trennen will, muss die Aussagen selbst prüfen oder nach Beiträgen von Verbraucherschützer:innen oder Journalist:innen suchen, die bei der Beurteilung helfen. Eine kleine Liste an seriösen Gesundheitswebsites findest du in der Anmerkung.

Vielleicht noch wichtiger finde ich allerdings, sich bewusst zu machen, dass wir oft ein zu einseitiges Bild von Gesundheit haben. Die Gesundheitsforschung sagt: Auch Menschen, die mit einer Krankheit leben, können gesund sein. Denn Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Wer zu sehr auf seine Gesundheit achtet, kann sich weniger gesund fühlen, als jemand, der trotz einer chronischen Erkrankung auf sein größtmögliches Wohlbefinden hinarbeitet.

Wer Produkte an gesunde Menschen verkaufen will, muss ihnen zuerst plausibel machen, warum sie diese Mittel brauchen. Fragen wie „Fühlst du dich oft müde?“ oder „Willst du dich fitter fühlen?“ können so gut wie alle Menschen mit „Ja“ beantworten. Dahinter steckt bei vielen wohl auch, dass sie auf zu vielen Ebenen gleichzeitig Leistung bringen müssen: Weil sie etwa alleinerziehend sind, Angehörige pflegen, trotz Menstruationssschmerzen und Beziehungsproblemen jeden Tag zur Arbeit gehen, unter Hormonschwankungen leiden und/oder finanzielle Sorgen haben.

Nicht alles, was nach Gesundheitsproblem aussieht, ist eins – vieles ist eher ein gesellschaftliches. Und dagegen helfen Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet nicht.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Warum Frauen Gesundheits-Influencern mehr vertrauen als Ärzten

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