In diesem Text:
- Das größte Bildungsprogramm in der Geschichte der BRD soll Schulen gerechter machen
- Belarus entlässt politische Gefangene, darunter Maria Kolesnikowa
- Die Energiewende passiert – ob Regierungen wollen oder nicht
- Ärzt:innen können Herzinfarkte bei Frauen besser versorgen
Das größte Bildungsprogramm in der Geschichte der BRD soll Schulen gerechter machen
Lea Schönborn
Armut beeinflusst den Bildungserfolg in Deutschland extrem. Mehrere große Studien zeigen: In kaum einem anderen OECD-Land hängt der Bildungserfolg so sehr von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland. Aber das soll sich ändern – mit dem Startchancenprogramm, dem größten Bildungsprogramm in der Geschichte der BRD.
Bisher gab es einen Flickenteppich aus Programmen, die den Einfluss sozialer Herkunft auf den Bildungsweg verkleinern sollten. Ein Problem war dabei immer, dass Geld reingesteckt, aber selten evaluiert wurde, welche Maßnahme wirklich geholfen hat. Mit dem Startchancenprogramm soll es anders laufen: Zehn Jahre lang sollen 20 Milliarden Euro in das Bildungssystem gepumpt werden, um es gerechter zu machen.
Gestartet wurde das Programm vergangenes Schuljahr. Nicht alle Schulen erhalten Geld und Unterstützung, sondern nur die Schulen, die es besonders nötig haben, das heißt, die in „sozial herausfordernder Lage“ sind. Selbst das ist revolutionär, bisher wurde das Geld meist gleichmäßig aufgeteilt. 4.000 Schulen sollen damit erreicht werden. Ein Ziel ist unter anderem, dass die Zahl der Schüler:innen, die die Mindeststandards in Mathe und Deutsch nicht erreichen, bis zum Ende der Laufzeit halbiert wird.
Im Orientierungspapier finden sich viele verschiedene Maßnahmen, die die Startchancenschulen ergreifen können. Den Schulen wird einerseits Geld zur Verfügung gestellt und andererseits Wissen durch sogenannte Kompetenzzentren. Über einen Teil des Budgets können die Schulen eigenständig entscheiden, außerdem gibt es zentrale Maßnahmen, die Startchancenschulen umsetzen müssen. In Berlin wird zum Beispiel auf das „Leseband“ gesetzt: Alle Schüler:innen von Startchancenschulen sollen täglich 15 bis 20 Minuten lesen.
Außerdem solle eine enge wissenschaftliche Begleitung überprüfen, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Wie gut funktioniert zum Beispiel die Stärkung von multiprofessionellen Teams an Schulen? Funktioniert es tatsächlich, Startchancenschulen mit diesen Mitteln attraktiver zu machen?
Die ersten Messungen auf Schüler:innen- sowie auf Schulebene erfolgen in diesem Schuljahr und werden dann jährlich wiederholt. Den ersten Zwischenbericht soll es Ende 2026 oder Anfang 2027 geben.
Belarus entlässt politische Gefangene, darunter Maria Kolesnikowa
Isolde Ruhdorfer
Auf einem ihrer ersten Fotos in Freiheit lächelt Maria Kolesnikowa und formt mit ihren Händen ein Herz, ihre ikonische Geste.
Das Regime in Belarus hat sie nach fünf Jahren in Gefangenschaft freigelassen, gemeinsam mit knapp 100 weiteren Menschen. Deutschland wird Kolesnikowa und den Oppositionellen Viktor Babariko aufnehmen. Die Freilassung der Gefangenen vergangenes Wochenende wurde von der Trump-Administration eingefädelt. Im Gegenzug heben die USA ihre Sanktionen gegen bestimmte Düngemittel-Exporte aus Belarus auf.
Kolesnikowa war nicht irgendeine politische Gefangene. Sie war Teil des berühmten Frauen-Trios, gemeinsam mit Swetlana Tichanowskaja und Veronika Tsepkalo. Zu dritt führten sie 2020 landesweite Proteste an, die sich gegen das Regime von Alexander Lukaschenko und die mutmaßlich gefälschten Wahlen richteten.
Von links nach rechts: Veronika Tsepkalo, Swetlana Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa | picture alliance/dpa/TASS I Natalia Fedosenko
Zehntausende wurden damals verhaftet, viele in den Hafteinrichtungen gefoltert. Tsepkalo und Tichanowskaja gingen ins Exil, Kolesnikowa sollte deportiert werden. Als sie begriff, dass sie außer Landes gebracht werden sollte, zerriss sie an der Grenze ihren Pass, stieg aus dem Auto und ging zu Fuß zurück. Sie wurde zu elf Jahren Haft verurteilt, fünf davon musste sie absitzen. Sie bekam gesundheitliche Probleme, hatte einen Magendurchbruch und musste 2023 operiert werden. Mehr als ein Jahr lang brach der Kontakt zu ihr ab. Niemand wusste, wo sie sich befand und wie es ihr ging.
Jetzt ist sie frei und es ist schwer zu glauben, wie fröhlich und positiv diese Frau wirkt – trotz der Gefangenschaft, der Angst und der Entbehrungen, die sie durchlebt hat. Sie wurde zunächst in die Ukraine gebracht, dort fand einen Tag nach ihrer Freilassung die erste Pressekonferenz statt. Sie trägt dort wie früher roten Lippenstift und sagt Dinge wie: „Ich war jeden Morgen glücklich.“ Sie habe Uniformen für den Geheimdienst nähen müssen und, auch wenn das seltsam klinge, sie habe sich über die Arbeit gefreut. Bei dieser Arbeit bleibe eine „DNA der Liebe und der Freiheit“ zurück, die sich jetzt bei diesen Menschen befinde.
Das Regime in Belarus hat sich seine Macht brutal gesichert, es gibt keine Aussicht auf eine Änderung in der nächsten Zeit. Aber Kolesnikowas Zuversicht und Fröhlichkeit sind der Beweis, dass die Diktatur sie nicht brechen konnte. Ihre Einstellung ist eine gute Nachricht für alle Menschen auf der Welt, die gegen autoritäre Regime kämpfen. Es ist auch eine gute Nachricht für alle, die desillusioniert und ohne Hoffnung auf Länder wie Belarus blicken. Denn wenn Kolesnikowa jeden Tag fröhlich aufgewacht ist, als sie im Gefängnis war, können das andere vielleicht auch.
Der einzige Moment, an dem sie traurig gewesen sei, erzählt sie bei der Pressekonferenz, sei kurz vor ihrer Operation gewesen. Als unsicher war, ob sie dabei sterben und dann ihre Familie nicht noch einmal wiedersehen würde. Angst habe sie aber nicht gehabt. Denn: „Liebe ist stärker als Angst.“
Die Energiewende passiert – ob Regierungen wollen oder nicht
Toyah Höher
2025 wurden die erneuerbaren Energien zur günstigsten und wichtigsten Energiequelle weltweit. Zum ersten Mal lieferten sie mehr Strom als Kohle und das, obwohl die Welt insgesamt mehr Strom verbrauchte als im Vorjahr. Der Anteil erneuerbarer Energien an der globalen Stromproduktion stieg von 32,7 Prozent auf 34,3 Prozent, während Kohle von 34,2 Prozent auf 33,1 Prozent sank.
Das liegt nicht an der Politik, sondern am Markt: Solar- und Windstrom sind in den vergangenen zehn Jahren sehr viel billiger geworden. Inzwischen sind sie deutlich günstiger als fossile Brennstoffe, obwohl letztere nach wie vor mit Hunderten Milliarden Dollar subventioniert werden. Unabhängig von stockender Klimapolitik treiben ausgerechnet große CO₂-Emittenten wie China, Europa, der Nahe Osten und sogar die USA die Energiewende weiter voran, schlicht weil es sich wirtschaftlich lohnt.
Laut dem Think-Tank Ember wuchs die weltweite Solar- und Windkraft im ersten Halbjahr 2025 so stark, dass sie den gesamten Mehrbedarf deckte und sogar übertraf. Obwohl die Menschen weltweit mehr Strom verbrauchten, sank der CO₂-Ausstoß des Stromsektors leicht.
Auch bei der Speicherung gibt es gute Neuigkeiten: Bis Oktober wurden weltweit 38 Prozent mehr große Batteriespeicher installiert als im Vorjahr. Sie speichern überflüssigen Solar-und Windstrom und sorgen dafür, dass er zuverlässig ins Netz fließt, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht.
Weltweit ging die Stromproduktion aus Kohle und Gas zurück. China deckte seinen gesamten zusätzlichen Strombedarf mit erneuerbaren Energien und baute mehr als jede andere Nation aus. Allein im Mai installierte das Land so viel Solarkapazität wie Deutschland in den letzten 25 Jahren. Auch Indien überraschte positiv: Seit Juli erzeugt das Land die Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Quellen – fünf Jahre vor dem im Pariser Abkommen festgelegten Ziel für 2030.
Selbst in den USA machten fossile Brennstoffe trotz klimapolitischer Rückschritte erstmals weniger als die Hälfte der erzeugten Elektrizität aus. Seit 2015 hat sich die Stromerzeugung aus Wind und Solar mehr als vervierfacht.
Laut Ember nähert sich die Nachfrage nach fossilen Energien im Stromsektor ihrem Höhepunkt. Die Hälfte der Länder weltweit hat diesen bereits erreicht. Auch die Investitionen ziehen weiter an: BloombergNEF, ein führendes Marktforschungsinstitut für Energiemärkte, meldet Rekordinvestitionen: 386 Milliarden US-Dollar für erneuerbare Energien im ersten Halbjahr 2025, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die Energiewende setzt sich immer weiter durch.
Ärzt:innen können Herzinfarkte bei Frauen besser versorgen
Silke Jäger
Viele Frauen fürchten sich davor, Brustkrebs zu bekommen. Dabei ist nicht Brustkrebs die häufigste Todesursache bei Frauen, sondern eine Herzerkrankung, wie zum Beispiel ein Herzinfarkt. Das Problem: Wenn Frauen einen Herzinfarkt bekommen, haben sie schlechtere Überlebenschancen als Männer.
Das Problem wurde schon länger erkannt, war aber nicht einfach zu lösen. Das liegt vor allem daran, dass es zu wenig Wissen darüber gibt, wie genau Herzerkrankungen bei Frauen entstehen, wie sich die Probleme im Unterschied zu Männern äußern und welche Behandlungsmethoden für Frauen sicher sind. Kurz gesagt: Es fehlen Studien, die diese Fragen beantworten.
Trotzdem gab es im Jahr 2025 einen relevanten Fortschritt. Internationale Expert:innen veröffentlichten unter der Leitung der Universität in Wien zum ersten Mal konkrete Empfehlungen für eine geschlechterspezifische Behandlung von Herzinfarkten.
So sollen Medikamente nun individuell nach Körpergewicht dosiert werden, damit Nebenwirkungen seltener auftreten. Außerdem soll ein Katheter, mit dem sich Herzkranzgefäße behandeln lassen, bei Frauen durch die Arterien am Handgelenk eingeführt werden und nicht, wie bei Männern, durch die Leiste. Das soll Komplikationen durch Blutungen reduzieren.
Inzwischen weiß man, dass einige Herzinfarktformen bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern, zum Beispiel Infarkte, bei denen die Herzkranzgefäße noch durchgängig sind. Dafür können bei Frauen die Herzkranzgefäße eher eingerissen sein.
Außerdem unterscheiden sich die Symptome bei Herzinfarkten: Frauen klagen öfter über Rückenschmerzen und Übelkeit und seltener über ein Engegefühl in der Brust oder einen ausstrahlenden Schmerz in den Arm.
Männer sind im Schnitt jünger als Frauen, wenn sie einen Herzinfarkt bekommen. Deswegen hat man lange gedacht, Frauen hätten ein geringeres Risiko dafür. Tatsächlich unterscheiden sich die Risikofaktoren bei Frauen für eine tödliche Herzkrankheit. Während bei Männern eher hohe Blutfettwerte eine große Rolle spielen, ist es bei Frauen eher ein hoher Blutdruck. Der kann vor allem nach den Wechseljahren steigen. Vorher sind Frauen durch den höheren Östrogenspiegel besser vor Herzkrankheiten geschützt.
Dieses Wissen ist in einem Positionspapier gebündelt, das die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie schon im Jahr 2024 veröffentlicht hat. Die neuen Empfehlungen für die geschlechtersensible Herzinfarkt-Behandlung bauen darauf auf und helfen, Herzinfarkte bei Frauen schneller zu erkennen und gezielter zu behandeln.
Redaktion: Astrid Probst und Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger