Auf der Collage sieht man Javier Milei vor einer argentinischen Landschaft. Milei wirft Geldscheine in die Luft.

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Politik und Macht

Wie es Argentinien unter Milei wirklich geht, verständlich erklärt

In Deutschland blicken viele Linke vor allem auf die negativen Folgen von Javier Mileis Politik. Und ignorieren manchmal, in welchen Bereichen der argentinische Präsident auch Erfolg hatte.

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Außenpolitikreporterin

Javier Milei, das ist der Typ mit der Kettensäge, oder?

Ja, der Präsident von Argentinien ist dafür bekannt, Lederjacken zu tragen und auf Veranstaltungen eine Motorsäge zu schwenken. Als Symbol für den Staatsapparat, den er zurechtstutzen will, um Geld zu sparen.

Forstwirt:innen wissen: Wer mit einer Motorsäge arbeitet, braucht Schnittschutzkleidung, sonst kann man sich schwer verletzen.

Und wie geht es Argentinien jetzt? War die Motorsägen-Politik sinnvoll?

Es gibt unterschiedliche Antworten auf diese Frage – je nach Perspektive.

Wie bewerten die Menschen in Argentinien diese Politik?

Javier Milei musste kürzlich zwei Tests bestehen. Der erste war eine Provinzwahl in Buenos Aires im September. Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) verlor diese Wahl deutlich. Vergangenen Sonntag dann die Überraschung: Die LLA gewann die Zwischenwahlen, bei denen auch ein Teil des Kongresses neu besetzt wird.

Diese Wahlen waren aus zwei Gründen wichtig.

Erstens: Sie waren eine Zwischenprüfung für Mileis Politik. Die Bevölkerung hätte ihm deutlich zeigen können, dass sie seine Herangehensweise nicht gut findet. Aber jetzt, da Mileis Partei gestärkt wurde, kann er leichter regieren und seine Reformen durchsetzen.

Zweitens: Argentinien ist Symbol in einer ideologischen Deutungsschlacht.

Wer kämpft da gegen wen?

Javier Milei ist ultralibertär, er selbst nennt sich „Anarcho-Kapitalist“. Und damit ist er ein Vorbild für Menschen auf der ganzen Welt. Vergangenes Jahr forderte der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP), Deutschland solle „mehr Javier Milei“ wagen. Wenige Monate zuvor hatte die AfD-nahe Hayek-Gesellschaft Milei eine Auszeichnung für sein Reformprogramm verliehen. Die Parteichefin der konservativen Tories in Großbritannien, Kemi Badenoch, sagte, sie wolle eine britische Version des argentinischen Präsidenten werden. Donald Trump nannte Milei seinen „Lieblingspräsident“. Milei steht für weniger Bürokratie, weniger Staat und mehr wirtschaftliche Freiheit.

Auf der anderen Seite sehen ihn vor allem Linke kritisch, in Argentinien selbst, aber auch in anderen Ländern. Nach seinem Wahlsieg im Dezember 2023 strich Milei Tausende Stellen im öffentlichen Dienst, kürzte Subventionen und beendete Sozialprogramme. Von Anfang an gab es Proteste gegen seine Reformen, weil zum Beispiel auch Krankenhäuser unter den Einsparungen litten.

Das klingt etwas vereinfacht.

Klar, vor allem in Argentinien selbst lassen sich die Menschen nicht so einfach in „libertäre Milei-Fans“ oder „linke Milei-Kritiker:innen“ einordnen. Zum Beispiel schreibt die argentinische linke Zeitung Página12, dass viele Wähler:innen nicht aus Überzeugung für Milei gestimmt hätten – sondern aus Mangel an Alternativen und weil sie befürchteten, dass es ihnen ohne Milei noch schlechter gehen könnte.

Aber wir blicken von Deutschland aus auf Argentinien. Für uns ist wichtig, welche Auswirkungen es auf andere Länder hat, ob Milei Erfolg hat oder scheitert. In Deutschland blicken viele Linke vor allem auf die negativen Folgen von Mileis Politik. Und ignorieren vielleicht manchmal, in welchen Bereichen er auch Erfolg hatte.

Wo hat Milei denn mit seiner Kettensägen-Politik Erfolg?

Mileis wichtigste Errungenschaft ist die gesunkene Inflationsrate. Bei seiner Wahl zum Präsidenten im Dezember 2023 lag sie noch bei mehr als 211 Prozent, stieg einige Monate weiter an, um dann stark abzufallen. Im September 2025 lag sie bei knapp 32 Prozent.

In der Grafik sieht man die Inflationsrate von Argentinien von 2023 bis Anfang 2025.

Inflationsraten in einer Höhe, bei der einem schwindelig werden kann. | Trading Economics

32 Prozent?! Das ist doch immer noch extrem hoch.

Stimmt. Als in Deutschland die Inflationsrate im Jahr 2022 besonders hoch war, lag sie bei mehr als acht Prozent. Das hat bis heute Folgen für viele Menschen, vor allem für die mit wenig Geld. Eine hohe Inflationsrate kann bedeuten, dass sich Menschen weniger oder nur ungesundes Essen leisten oder dass sie ihre Miete nicht mehr zahlen können. 32 Prozent sind aber trotzdem wesentlich weniger als 211 Prozent. Und mit der Senkung der Inflationsrate hat Milei eines seiner zentralen Versprechen gehalten.

Hatte er noch andere Erfolge?

Milei-Fans führen gerne das Wirtschaftswachstum Argentiniens an.

In der Grafik sieht man das Wirtschaftswachstum von Argentinien von 2023 bis 2025.

Ende 2023 schrumpfte Argentiniens Wirtschaft, erst im letzten Quartal des Jahres 2024 ging es wieder bergauf. | Trading Economics

Seit Ende 2024 wächst die Wirtschaft wieder, im zweiten Quartal 2025 sogar um mehr als sechs Prozent. Damit gehört Argentinien aktuell zu den wachstumsstärksten Ländern der Welt. Allerdings ist das nur eine halbe Erfolgsmeldung. Denn das Wachstum hängt auch damit zusammen, dass Argentiniens Wirtschaft zuvor eineinhalb Jahre in der Rezession steckte.

Ich will weniger über Wirtschaftswachstum und mehr über die Menschen selbst reden. Wenn Milei Sozialprogramme und Subventionen gekürzt hat, haben doch bestimmt viele Menschen darunter gelitten.

Jein. Die Armutsquote in Argentinien geht zurück. Nach Zahlen der argentinischen Statistikbehörde Indec fiel sie von 53 Prozent bei Mileis Amtsantritt auf 31,8 Prozent im September 2025. Das hängt vor allem mit der gesunkenen Inflationsrate zusammen. Klar, wenn sich die Teuerung etwas verlangsamt, entlastet das die Menschen.

An dieser Statistik gibt es aber auch Zweifel. Kritiker:innen werfen der Behörde vor, mit einem veralteten Warenkorb zu rechnen und so die Statistik zu beschönigen. Unter den Kritiker:innen sind beispielsweise die Päpstliche Katholische Universität von Argentinien (UCA) oder das Zentrum für politische Ökonomie Argentiniens (CEPA), wie die Frankfurter Rundschau zusammenfasst. Bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie etwa Rentner:innen, leiden besonders unter Mileis Politik. Zum Beispiel hat Milei schon mehrmals eine Rentenerhöhung blockiert. Viele Rentner:innen demonstrieren deshalb jede Woche vor dem argentinischen Kongress.

Welche Kritik gibt es noch an Milei?

Vor allem die an seiner Währungspolitik. Die Währung in Argentinien ist der Peso, mindestens genauso wichtig ist aber der US-Dollar. Beziehungsweise, in welchem Verhältnis der Peso und der US-Dollar zueinander stehen.

Denn der Peso ist eine instabile Währung. Deshalb besorgen sich viele Argentinier:innen Dollars, damit ihr Geld nicht so schnell an Wert verliert. Je höher allerdings die Nachfrage nach Dollars ist, desto schneller verliert der Peso an Wert – ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt. Um den Peso zu stabilisieren, muss die argentinische Zentralbank deshalb immer wieder US-Dollar in den Markt geben. Und wenn sie keine US-Dollar mehr hat, muss sie sich welche besorgen, zum Beispiel über Kredite – oder über Donald Trump.

Hängt das mit diesen 20 Milliarden US-Dollar zusammen, die Trump Argentinien versprochen hat?

Genau. Als die Partei von Javier Milei im September die Provinzwahlen verlor, verunsicherte das die Menschen – und damit auch die Märkte. Der Peso brach ein, es gab Alarmstimmung. Und weil Milei der „Lieblingspräsident“ von Trump ist, half ihm dieser, mit einem sogenannten Währungstausch. Vom Prinzip her ist es wie in der Wechselstube: Die USA geben Argentinien 20 Milliarden US-Dollar und nehmen dafür den gleichen Betrag in argentinischen Peso. Es ist quasi ein Hilfspaket für Argentinien.

Du hast mir jetzt verschiedene Zahlen gezeigt, zur Inflationsrate, dem Wirtschaftswachstum, der Armutsquote und dem Verhältnis von Peso zu US-Dollar. Aber was heißt das jetzt? Geht es der Wirtschaft in Argentinien besser? Geht es den Menschen besser?

Simon Gerards Iglesias, Ökonom und Argentinien-Experte am arbeitgeber-nahen Institut der deutschen Wirtschaft, bewertet Mileis Politik insgesamt als Erfolg. „Weil er geschafft hat, was niemand in den letzten Jahren in Argentinien geschafft hat: die Inflationsrate wirklich herunterzudrücken.“ Das interessiere viele Argentinier:innen am meisten, weil es darüber entscheide, wie viel sie im Portemonnaie hätten.

„Die Schattenseite davon ist, dass in der Sozialpolitik sehr viel gekürzt wurde, dass Renten teilweise eingefroren wurden, dass Geld für Universitäten, für Krankenhäuser, für Kultur deutlich gekürzt wurde“, sagt Gerards Iglesias.

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Ich könnte dir jetzt noch Arbeitslosenzahlen zeigen, Importe und Exporte vergleichen, Reallöhne untersuchen. Es gibt viele Zahlen, die unterschiedliche Bereiche einer Volkswirtschaft betrachten, aber eben alle nur einen Teil der Wahrheit zeigen. Eine Rentnerin in der Provinz Santa Cruz hat eine ganz andere Lebensrealität als ein Unternehmer in Buenos Aires oder ein Arbeiter in der Kupferindustrie.

Na toll. Könnte man nicht jede Frage zur Wirtschaft eines Landes so beantworten?

Es ist eine unbefriedigende, aber ehrliche Antwort.

Milei hatte teilweise Erfolg. Gleichzeitig leiden Argentinier:innen unter seiner Politik. Und das alles vor dem Hintergrund, dass Argentiniens Wirtschaft seit Jahrzehnten instabil ist und ein sehr großer Anteil der Bevölkerung im informellen Sektor arbeitet. Also „schwarzarbeitet“, keine Steuern zahlt und in keiner Statistik auftaucht. Das macht Bewertungen der wirtschaftlichen Lage schwierig.

Und jetzt?

Macht Milei weiter. Mit fast 41 Prozent hat seine Partei die Wahlen klar gewonnen. Das bedeutet für ihn eine Bestätigung seines Kurses und dass er seine geplanten Reformen durchsetzen kann. In seinem ersten Amtsjahr regierte Milei hauptsächlich über Notdekrete am Kongress vorbei. Das ging aber nur ein Jahr lang. Deshalb war es jetzt für ihn wichtig, eine Sperrminorität im Kongress zu bekommen, damit seine Vetos nicht mehr von der Opposition überstimmt werden können.

Und dann gibt es aber noch etwas anderes, das Milei selbst bisher unterschätzt hat.

Was denn?

Wirtschaft ist nicht immer das alles entscheidende Thema. Wer Mileis Wirtschaftskompetenz beurteilen will, darf nicht nur auf die Inflation schauen oder auf eine bestimmte Reform. In den vergangenen Monaten gab es mehrere Korruptionsskandale, in die Milei selbst, aber auch seine Schwester Karina Milei verwickelt waren. Zum Beispiel soll sie sich Gelder in die eigene Tasche gesteckt haben, die eigentlich für Menschen mit Behinderung bestimmt waren.

Milei ist ja, so wie alle Populisten, als „Anti-Establishment-Typ“ angetreten, als einer, der eben nicht nur deshalb Politik macht, um sich selbst in die Taschen zu wirtschaften. Dieses Bild, das er von sich selbst erschaffen hat, hat nach den Korruptionsskandalen Risse bekommen. Das hat auch dazu geführt, dass er die Provinzwahlen im September verloren hat und das wiederum zu einer Währungskrise und einem US-amerikanischen Rettungspaket.

Das zeigt: zu Wirtschaftskompetenz gehört auch, nicht korrupt zu sein – und demokratisch zu regieren. In zwei Jahren sind in Argentinien Präsidentschaftswahlen. Dann werden wahrscheinlich besonders viele Menschen zur Wahl gehen und Javier Milei zeigen, ob ihnen die Kettensäge mehr genutzt oder geschadet hat.


Mitarbeit: Stefanie Naydenov

Redaktion: Rico Grimm und Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer, Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert

Wie es Argentinien unter Milei wirklich geht, verständlich erklärt

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