Der internationale Druck auf die israelische Regierung steigt. Deutschland stoppt bestimmte Waffenexporte und Großbritannien, Frankreich und andere Länder erkennen einen Staat Palästina an.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu antwortete am 15. September 2025 auf die steigende Isolation seines Landes in einer Rede im Finanzministerium:
„Wir werden uns zunehmend auf eine Wirtschaft mit autarken Merkmalen einstellen müssen. […] wir könnten uns in einer Situation wiederfinden, in der unsere Rüstungsindustrien blockiert werden. Wir werden hier Rüstungsindustrien aufbauen müssen – nicht nur Forschung und Entwicklung, sondern auch die Fähigkeit, das zu produzieren, was wir brauchen. […] wir werden ein Super-Sparta sein.“ (Hervorhebung und Übersetzung durch Autor).
Sparta war ein antiker Militärstaat in Griechenland. Israel diskutiert diese „Sparta-Rede“ heftig. Denn für das Land steht viel auf dem Spiel.
Die faktische Überlegenheit der israelischen Armee ist ein wichtiger Teil der strategischen Abschreckungslogik des kleinen Staates. Gemeinsam mit den Atomwaffen soll sie das langfristige Überleben Israels sichern.
Seit seiner Gründung konnte das Land immer wieder auf die militärische und technologische Unterstützung großer westlicher Schutzmächte zählen, vor allem der USA. Diese Unterstützung hat sogar Eingang in das zentrale Strategiedokument der israelischen Armee gefunden. Die Israelis wissen also sehr genau, dass ihr Land nicht ohne Hilfe auf allen militärischen Gebieten eine effektive Abschreckung gegen Angriffe von anderen Staaten leisten kann.
Das lässt einen Umkehrschluss zu: Wackelt die Unterstützung der USA, wackelt auch die Überlegenheit der israelischen Armee. Die Abschreckung wird fadenscheinig.
Genau deswegen verursachte Netanjahus Sparta-Rede einen solchen Aufruhr im Land. Es geht um mehr als um Fragen wirtschaftlicher Autarkie. Es geht darum, auf welche Unterstützung das Land heute noch zählen kann.
Nicht inflationsbereinigt flossen seit 1948 mehr als 130 Milliarden Dollar an Militärhilfen in das Land. Aktuell sind es gemäß einer Vereinbarung aus der Obama-Zeit circa 3,8 Milliarden Dollar pro Jahr, zusätzliche Hilfen nach dem Hamas-Terrorangriff im Jahr 2023 nicht mitgerechnet.
Genauso wichtig wie die direkten Hilfen ist aber eine andere Vereinbarung zwischen den USA und Israel. Die israelische Armee bekommt qua US-Gesetz Zugang zu den fortschrittlichsten Militärtechnologien der Vereinigten Staaten. Ein vom Kongress verabschiedetes Regelwerk verpflichtet den US-Präsidenten, kontinuierlich zu prüfen, ob Israel anderen Ländern militärisch überlegen ist. Die israelische Luftwaffe ist deswegen in der ganzen Region ohne Konkurrenz; den viel kritisierten Angriff auf die Hamas-Führung in Katar flog Israel mit F-35-Flugzeugen, die mit fortschrittlicher Tarntechnik ausgestattet sind.
Solange die USA hinter Israel stehen, sind Diskussionen über die militärische Stärke Israels Theorie. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass die bedingungslose Unterstützung aus den USA bröckelt – bisher nicht auf Regierungsebene, aber im politischen Vorfeld.
Laut einer neuen Umfrage der New York Times glauben inzwischen 40 Prozent der US-Wähler, dass Israel im Gaza-Krieg gezielt Zivilisten angreift (rote Linie in der Grafik):

New York Times
Wie US-Amerikaner die Kriegsführung Israels wahrnehmen, beeinflusst, wie sie das ganze Land Israel wahrnehmen. Eine Umfrage eines US-Thinktanks zeigt, dass die US-Bevölkerung Israel seit Kriegsbeginn zunehmend kritischer sieht. Der Economist hat diese Zahlen veranschaulicht.

US-Politiker folgen den Ansichten ihrer Wähler. Im Juli stimmten 24 demokratische US-Senatoren dafür, keine Bomben mehr an Israel zu liefern. Bei einer ähnlichen Abstimmung im April waren es zwölf Senatoren.
Aus israelischer Sicht Grund zur Sorge: Die Unterstützung für das Land schwindet in beiden großen Parteiblöcken. Vor allem junge Republikaner wenden sich von Israel ab (rote Pfeile). „Der alte Konsens der Republikaner hat sich aufgelöst, vermutlich endgültig“, sagte Politikwissenschaftler und Historiker Dov Waxman dem Economist.
Wenn junge US-Amerikaner Israel heute immer kritischer sehen, wird das nicht dazu führen, dass die USA morgen ihre Unterstützung einstellen.
Aber dass sich immer mehr Menschen in den USA von Israel abwenden, ist für das Land langfristig eine größere Gefahr, als es die palästinensische Terrorgruppe Hamas jemals sein könnte.
Redaktion: Nina Rossmann, Fotoredaktion: Gabriel Schäfer, Audioversion: Christian Melchert