Fische mit Airpods die sich unterhalten, Grafik

Cansu Sarp/Unsplash/edit:Gabriel Schäfer

Sinn und Konsum

Sprachenlernen lohnt sich im KI-Zeitalter mehr denn je

Gerade weil die neuesten Bluetooth-Kopfhörer jedes Gespräch in Echtzeit übersetzen können.

Die KI kann jetzt auch life übersetzen – per Kopfhörer, direkt ins Ohr. Praktisch, klar. Das schreibe ich als studierte Übersetzerin, deren Job in großen Teilen von der KI übernommen wurde. Ich übersetze schon länger nicht mehr, aber manchmal flattern noch E-Mails von Übersetzungsagenturen in mein Postfach. Sie wollen mich als „Post-Editor“ engagieren, das heißt, ich soll einen KI-übersetzten Text prüfen.

Die Übersetzung über den Knopf im Ohr bräuchte aktuell auch noch ein Post-Editing. Als ein Journalist von „The Atlantic“ die Kopfhörer im Gespräch mit einer spanischsprachigen Teigtaschen-Verkäuferin testete, wurde aus der mexikanischen Sauce („mole“) die Droge MDMA („Molly“). Ich glaube aber: Irgendwann werden die Dinger ziemlich zuverlässig sein. Vor ein paar Jahren haben wir noch über die lustigsten Fails von automatischer Übersetzung gelacht. Das generiert schon lange keine Klickzahlen mehr.

Mein Studienabschluss wird also in absehbarer Zeit nichts mehr wert sein, die Sprachkenntnisse in meinem Lebenslauf auch nicht.

Allerdings nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten gratuliere ich meinem 19-jährigen Ich zu seiner Studienwahl. Sprachenlernen lohnt sich im KI-Zeitalter mehr denn je, weil es den Blick auf die Welt verschiebt. Sprache ist nicht nur Verständigung, sondern auch Kultur und Identität. Das französische Wort „La Rentrée“ etwa bezeichnet den Zeitpunkt im September nach den großen Ferien, wenn die Kinder wieder in die Schule und die Erwachsenen zurück an die Arbeit müssen. Es beginnt etwas Neues, gleichzeitig muss man sich von der schönen langen Sommerzeit verabschieden. „La Rentrée“ drückt dieses Gefühl wunderbar aus.

Eigentlich ist es doch eine gute Nachricht: Man lernt Sprachen weniger für den Arbeitsmarkt oder die Reise, sondern um das eigene Denken zu schärfen. Mal ganz abgesehen davon ist es nie besonders smart, etwas an die KI zu delegieren, von dem man selbst keine Ahnung hat. Was, wenn man die Kopfhörer unterwegs statt auf dem Nachttisch in dem Wasserglas darauf ablegt und dann auf einmal in einem nicaraguanischen Dorf nicht mehr nach dem Weg fragen kann?

Die KI ist besser als wir, aber darum geht es nicht

Vor gut zehn Jahren war es unter bildungsaffinen Eltern populär, ihr Kind möglichst früh Englisch oder gar Chinesisch lernen zu lassen. Später kam Programmieren dazu.

Ich unterstelle diesen Eltern mal, dass sie das aus einem Leistungsgedanken heraus getan haben und bin nun schadenfroh. Spieglein, Spieglein an der Wand: Eure Kinder können nun vielleicht besser Englisch/Chinesisch/Programmieren als alle anderen Kinder in diesem Land. Aber über den Datenbergen, bei den sieben Bros im Silicon Valley gibt es eine, die ist noch tausend Mal besser als sie.

Ich wünsche den Kindern dieser Eltern, dass sie sich das Sprachenlernen vom Leistungsdenken ihrer Eltern nicht haben vermiesen lassen. Denn Vorteile haben sie dadurch trotzdem.

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Die meisten Forschenden sind sich einig, dass Sprache beeinflusst, wie man die Welt sieht. „Linguistische Relativität“ ist der Fachausdruck dafür. Australische Aboriginie-Sprachen kennen kein rechts oder links, sondern Himmelsrichtungen. Ihre Sprecher finden Süden, Osten oder Westen selbst in dunklen, geschlossenen Räumen.

Auch zwischen Englisch und Deutsch gibt es solche Unterschiede: Während sich englischsprechende Menschen durch die grammatikalische Progressive-Form eines Verbs eher auf den Verlauf einer Handlung konzentrieren, legen deutschsprachige Menschen ihren Fokus auf das Ziel.

Sprache beeinflusst außerdem, wie wir bestimmte Konzepte verstehen. „Erst das Wort ‚Schönheit‘ lässt uns das Konzept wirklich begreifen“, sagt Friedemann Pulvermüller, Professor für Neurowissenschaft an der FU Berlin.

Wenn ich also eine andere Sprache spreche, nehme ich diesen anderen Blickwinkel ein. Ich tapse durch eine fremde Welt, die sich mir immer mehr erschließt. Und wie bei einer Reise in ein anderes Land, sind meine Antennen besonders sensibel eingestellt, alles ist klarer, schärfer und aufregender.

Ich weiß noch, wie ich als Erasmus-Studentin in meinem Wohnheimzimmer in Paris französische Musik gehört habe und plötzlich den Liedtext verstanden habe. Es ging um einen fliegenden Teppich. In Gedanken befand ich mich sogleich auf einem solchen „tapis volant“ in den leuchtendsten Farben, auf dem Weg durchs All. Total trippy. Auf Deutsch erscheint beim Begriff „fliegender Teppich“ vor meinem Auge ein etwas ausgeblichenes, komplett eindimensionales Bild aus einem Märchenbuch.

Ich habe keine Studie zu diesem Phänomen gefunden, dafür aber diese hier: Sprachenlernen verbessert die kognitiven Fähigkeiten. Man wird zum Beispiel besser darin, zwischen Aufgaben zu wechseln, sich zu konzentrieren oder Impulsen zu widerstehen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass mehrsprachige Menschen weniger schnell altern und dass Alzheimer bei ihnen später auftritt.

Man lernt, um sein Gehirn zu trainieren, nicht um etwas zu können, das die KI nicht kann. Damit haben wir der KI etwas voraus. Die KI braucht nämlich uns, wir aber brauchen die KI nicht. Wenn ich nun also in einer nicht allzu fernen Zukunft über einen Markt in Griechenland schlendere, kann ich mir die Kopfhörer in die Ohren stecken und alle Gespräche um mich herum verstehen. Das würde ich aber nicht machen. Dafür ist der Klang einer fremden Sprache einfach viel zu schön.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer

Sprachenlernen lohnt sich im KI-Zeitalter mehr denn je

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