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„Ah, der Herr Gommel. Schöne Fotos macht er!“, grüßte mich 2016 ein stämmiger Nazi, der zwischen Deutschlandflaggen auf einer Pegida-Demo in Karlsruhe marschierte, die ich mit der Kamera festhielt. Erschrocken fühlte ich einen Schauer, der mir durch die Knochen fuhr. Von so einem Typen erkannt zu werden? Das war mehr als unangenehm.
Diese Begegnung kam allerdings nicht von ungefähr. Ein Jahr zuvor hatte ich begonnen, Geflüchtete vor der Erstaufnahmestelle in Karlsruhe zu interviewen. Mich interessierte, wie es ihnen auf der Flucht ergangen war und was sie veranlasst hatte, diese anzutreten. Ich machte jeweils ein Porträt und veröffentlichte es zusammen mit einem kleinen Text im Netz. Die Serie nannte ich „Willkommen in Deutschland“.
Das traf in rechten Kreisen auf empfindliche Nerven. Ich bekam wütende Nachrichten und eine Drohung, bei der sich der Staatsschutz einschaltete. Auf einer Liste, auf der Rechte unliebsame Politiker und Aktivisten festhielten, fand ich meinen Namen. Also zupfte ich ihn zu Hause vom Klingelschild und beantragte eine Auskunftssperre beim Meldeamt, damit niemand meine Adresse ausfindig machen konnte.
Mein Versuch, vor den Nazis zu verschwinden
Ich tat alles, um mich zu schützen und nicht gefunden zu werden. Trotzdem identifizierte mich bei der Pegida-Demo ein Rechter auf offener Straße. Wie sicher war ich wirklich? Diese Frage hielt mich jedoch nicht davon ab, weiterzumachen. Mit Bus und Mitfahrgelegenheit reiste ich nach Lesbos, die griechische Insel, zu der tausende Geflüchtete mit Schlauchbooten übersetzten.
Auch dort hieß ich die Menschen willkommen, dieses Mal in Europa. Ich machte Bilder und schrieb über bewegende Momente. Besonders traf mich die Trauer, als ich erfuhr, dass einige Kinder auf der Überfahrt ertrunken waren.
Später dokumentierte ich die Situation an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo 12.000 Geflüchtete verweilten, da Mazedonien die Grenze geschlossen hatte. Im Kosovo schaute ich mir an, wie arme Familien kaum überleben konnten. Ihre Söhne, die nach Deutschland flohen, wurden von Rechten als „Wirtschaftsflüchtlinge“ beschimpft.
Worauf es wirklich ankam
Bei allem, was ich tat, spürte ich diese seltsame Angst, etwas zu tun, das mein Leben gefährden könnte. Doch gleichzeitig brannte etwas in mir für diese Mission. Ich wollte die Gesichter und Geschichten derer zeigen, die nach Europa flohen. Menschen, die von Rechten als fremdartig, seltsam und gefährlich gesehen wurden.
Heute denke ich manchmal zurück an jene Szene auf der Pegida-Demo. In meiner Wunschvorstellung habe ich dem Nazi den Mittelfinger gezeigt. Doch es war nicht entscheidend, in diesem Moment heldenhaft zu reagieren. Entscheidend war, dass ich mich von Nazis nicht davon abhalten ließ, das zu tun, was ich für richtig hielt.
Text der Woche
Heute treffe ich Nazis und Menschenhasser nicht mehr auf der Straße, sondern in einem Ballerspiel: Call of Duty. Eins hat sich nicht geändert: Sie drohen.
Frage der Woche
Du wachst in deinem Kinderzimmer auf, bist zehn Jahre alt und verfügst über dein gesamtes aktuelles Wissen. Was machst du als Erstes?
Falks Blick auf die Welt

Hat eine kleine Gruppe in Call of Duty gegründet: „Die flauschigen Antifaschisten“:
Martin Gommel