Eine Frau schwebt unter Wasser. Ihr Kopf ist an der Oberfläche. Ihr Körper spiegelt sich an der Oberfläche. Darüber liegt ein Foto von Wolken

Ruan Carlos, Stefano Zocca/Unsplash

Psyche und Gesundheit

Interview: Wie macht man weiter nach einem Suizidversuch?

John Brogden hat überlebt. Er hat mit 15 anderen Betroffenen über den Moment gesprochen, der ihnen das Leben gerettet hat.

Profilbild von Astrid Probst
Reporterin

Der Australier, der mit Kappe auf dem Kopf und in Sportklamotten zum Videointerview auf meinem Bildschirm erscheint, wollte sterben. Vor 20 Jahren unternahm John Brogden einen Suizidversuch. Er überlebte und setzt sich seither dafür ein, dass auch andere überleben. Erst als Teil von Lifeline, einem australischen Krisen- und Seelsorgedienst und nun mit seinem Buch „Profiles in Hope“. 15 Menschen erzählen darin, warum sie versucht haben, ihr Leben zu beenden und wie sie diesen Tiefpunkt überwunden haben.


John Brogden, mit 33 Jahren wurden Sie der jüngste Vorsitzende einer australischen Partei. Sie waren auf dem Weg, Premier des Bundesstaates New South Wales zu werden. Als Ihre politische Karriere dann wegen eines Skandals endete, unternahmen Sie einen Suizidversuch. Ende August wird das 20 Jahre her sein. Was lösen solche Jahrestage in Ihnen aus?

Früher war dieser Tag sehr schwierig und ich zog mich zurück. Ein Freund rief mich jedes Jahr am 30. August an und sagte: „Gott sei Dank bist du hier!“ Vor ein paar Jahren sagte er: „Ich möchte, dass du das richtig verstehst, aber ich werde dich an dem Tag nicht mehr anrufen.“ Ich war erst traurig. Dann begriff ich: Das Leben geht weiter. Und das ist doch das Schöne. Heute denke ich viel seltener an meinen Suizidversuch.

Wie kamen Sie damals zu dem Schluss, dass Suizid die beste Lösung für Ihre Situation sein könnte?

Ich war sehr jung und sehr erfolgreich. Und ein Teil des politischen Erfolges in jungen Jahren besteht darin, dass man bereit ist, Dinge zu sagen und zu tun, die manche vielleicht als charismatisch bezeichnen würden. Als der damalige Premier des Bundesstaates New South Wales in den Ruhestand ging, war ich plötzlich der Spitzenkandidat. Doch ich habe beleidigende und dumme Dinge gesagt und getan. Ich habe mich entschuldigt. Es wurde öffentlich.

John Brogden in seinem Büro in Sydney

John Brogden | CC BY-SA 4.0

2005, da war John Brogden 36 Jahre alt, bezeichnete er die malaysische Frau seines politischen Gegners als „Mail-order Bride“. Also als eine Katalog-Ehefrau. Außerdem fasste er einer Reporterin an den Hintern.

Meine politische Karriere war vorbei. Solange ich mich zurückerinnern kann, hatte ich Selbstmordgedanken. In meiner Kindheit sah ich, wie sich meine Eltern stritten, erlebte Alkoholismus und häusliche Gewalt. Ich habe immer gedacht: Wenn es schlecht läuft, bringe ich mich um. Ich weiß nicht, ob ich mir als kleiner Junge jemals überlegt habe, wie ich es tun würde. Aber als damals vor 20 Jahren alles furchtbar schieflief und öffentlich wurde, hatte ich das Gefühl, dass ich meine Freunde, meine Familie, meine Unterstützer und vor allem meine Frau beschämt hatte. In dieser Situation dachte ich, dass es nicht nur das Einzige, sondern auch das Beste ist, was ich tun kann.

Sie taten es, weil Sie das Schamgefühl nicht mehr aushielten?

So seltsam es klingt, meine Lösung war zu verschwinden und zwar dauerhaft. Auf diese Weise würde ich die Scham loswerden. Also tat ich es und ich war sehr entschlossen.

Am Morgen des 30. August 2005 fand man Sie bewusstlos in Ihrem Wahlkreisbüro in Sydney.

Ein Mitarbeiter rief die Polizei, weil er die Tür zum Büro nicht öffnen konnte. Ich erinnere mich, dass ich mir damals sicher war, dass ich sterben wollte. Danach dachte ich, und das soll jetzt nicht lustig klingen: Ich kann meine Probleme nicht einmal auf diese Weise richtig lösen. Das zog mich in eine Depression.

Wie schafften Sie es, wieder Motivation fürs Leben zu finden?

In den Wochen und Monaten nach meinem Suizidversuch erhielten meine Frau Lucy und ich E-Mails und Briefe von etwa 10.000 Menschen. Darunter ein Brief auf fluoreszierendem grünen Papier. Er war von einem Mann, den ich nicht kannte. Er schrieb „Lieber Mr. Ogden“ – ich heiße Brogden – und eine Zeile: „Wir alle machen Fehler, deshalb haben Bleistifte Radierer am anderen Ende.“ Ich war überwältigt. Dass mein Suizidversuch so öffentlich bekannt war, war schmerzhaft und zugleich bekam ich dadurch sehr viel Unterstützung.

Sie holten sich auch professionelle Hilfe und waren in einer Klinik.

Ich hatte gute Ärzte und Pflegerinnen, und ich bekam Medikamente, die wirkten. Und zweifellos habe ich eine unglaublich liebevolle Frau und Familie. Meine Frau ist Organisationspsychologin. Sie hat mich außerordentlich gut betreut.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie den Lebenswillen wiedergefunden haben?

Etwa sechs Monate. Als ich danach durch die Straßen ging, hielten mich die Leute an. Ich konnte ihnen nicht in die Augen schauen, weil ich mich so schämte. Aber indem sie mich ansprachen, konnte ich aufblicken. Ich lernte: Wir alle machen Fehler und bekommen eine neue Chance. Und das Wichtigste: Nichts ist so schlimm, dass man sich umbringen muss. Trotzdem brauchte ich eine Weile, um zu glauben, dass ich jemals wieder akzeptiert werden würde.

Wie schafft man es danach, als Mensch und nicht als seine Krankheit wahrgenommen zu werden?

Ich sage: Ich lebe mit Depression und Suizidgedanken, aber ich bin nicht meine Krankheit. Es ist ein Teil meines Lebens, nicht mein ganzes Leben.

Für Ihr Buch „Profiles in Hope“ sprachen Sie mit 15 Menschen über deren Suizidversuche. Brauchte es viel Überredungskunst, damit sich alle bereit erklärten, ihre Geschichten zu erzählen?

Nur drei Leute, die ich angefragt hatte, lehnten ab. Gerade weil sie auch meine Geschichte kannten, war es leichter für mich, mit ihnen zu reden. Weil wir das gleiche Schicksal teilen, sprechen wir die gleiche Sprache.

Gibt es etwas, das alle Geschichten gemeinsam haben?

Alle mussten einen Tiefpunkt erreichen, an dem sie einen Plan schmiedeten, sich zu töten, damit sie sich später besser fühlen konnten. Das ist für viele Leser:innen schockierend. Einige sagten: „Ist es nicht traurig, dass sie am Boden ankommen mussten, damit sie wieder aufstehen konnten?“

Das ist eine Frage, die Sie allen im Buch stellen: „Dachtest du, du müsstest an den dunkelsten Punkt gelangen und versuchen, dich umzubringen, um dein Leben zu ändern?“ Viele sagen: Ja. Warum denken Sie, ist das so?

Wer auf einen Suizidversuch zusteuert, ignoriert oft die Symptome. Der verdrängt oder leugnet. Da muss es erst schlimmer werden, damit er oder sie erkennt, wie ernst es ist. Vor allem Männer glauben, dass sie hart sein müssen. Wir denken, wir kriegen solche schwierigen Zeiten in den Griff. Wir sagen, lass uns in eine Kneipe gehen, Urlaub machen, einkaufen gehen. Aber das hilft nicht. Damit überdecken wir unsere Gefühle mit Fluff – so nenne ich das. Wir müssen den Teppich aus Fluff durchschneiden. Und für viele Menschen muss es erst richtig schlimm werden, bis sie das schaffen.

Ein Satz, der oft in den Gesprächen fiel, ist dieser: „Ich hatte das Gefühl, dass es allen ohne mich besser gehen würde.“ Auch Sie haben das gedacht. Ist das ein Gedanke, der tatsächlich durch andere ausgelöst wird oder entsteht er unabhängig von anderen?

Beides. Manche Leute sind gemein genug zu sagen: „Mir geht es besser ohne dich, hau ab!“ Sich von dieser Vorstellung zu lösen, dass man für andere eine Last ist, ist verdammt schwer. Wäre es einfach, gäbe es keine Suizide.

Was kann einem helfen, wenn es sich so anfühlt, als sei man eine Bürde für andere?

Wer diesen Gedanken hat, sollte sich professionelle Hilfe holen. Und nicht aufgeben! Die Leute wollen dich um sich haben, sie wollen dich nicht tot sehen. Sie wollen dir helfen. Und vielleicht musst du dir die Hilfe holen, die du brauchst, um dir selbst zu helfen.

Davina Smith ist eine der Personen, die dachte, es wäre für alle besser, wenn sie stirbt. Als TV-Journalistin wollte sie immer alles perfekt machen. Irgendwann bekam sie Panikattacken. Dann eine Angststörung. Niemand durfte etwas bemerken, schon gar nicht vor der Kamera. Als sie schließlich Mutter wurde und an postnatalen Angstzuständen litt, fühlte sie sich, als habe sie versagt. Dann kam der Tag, an dem alles zu viel wurde. Sie rief ihren Therapeuten an und erreichte ihn nicht, sprach mit einer überforderten Frau bei einer Beratungsstelle. Als sie fast schon keinen Ausweg mehr sah, rief sie den Krisen- und Seelsorgedienst Lifeline an und bekam die Hilfe, die sie brauchte.

In Interviews beschreiben Sie oft Folgendes: Wer sich nach einer Krebserkrankung zurückkämpft, wird beglückwünscht, wer Gleiches nach einem Suizidversuch tut, wird eher kritisch beäugt. Woran liegt es, dass die Menschen so reagieren?

Manche sind der Meinung, dass Suizid egoistisch ist. Dass man sich nicht darum scheren würde, wen man hinterlässt. Suizid ist eine Impulshandlung. Du redest dir ein, so wie ich es tat, dass es nicht nur das Richtige oder das Einzige, sondern auch das Beste ist, was man tun kann. Ich habe dieses Problem geschaffen, ich bin das Problem, wie kann ich es lösen? Indem ich mich auslösche. Aber ich glaube, die meisten Leute sehen es als die menschliche Tragödie, die es ist.

Sie haben mal gesagt: Wer Suizidgedanken hat oder einen Suizidversuch unternimmt, muss nicht unbedingt psychisch krank sein.

Nur 50 Prozent der Australier, die sich umbringen, haben jemals Hilfe gesucht. Das bedeutet entweder, dass sie nicht psychisch krank waren, oder dass sie es nicht erkannten. Bei Krebs ist der Verlauf linear: Je länger er unbehandelt bleibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich daran sterbe. Psychisch Erkrankte können depressiv sein und nicht ein einziges Mal an Selbstmord denken. Genauso kann jemand, der sein ganzes Leben lang psychisch gesund war, öffentlich beschämt werden, die Ehe geht in die Brüche oder er verliert Geld. An diesem einen Punkt im Leben denkt er plötzlich, dass Suizid die Antwort auf sein Problem ist. Ich will Suizid nicht normalisieren, aber ich urteile auch nicht. Wir müssen die Leute durch diese Krise bringen und sie wieder herausholen.

Als ich die Geschichten in Ihrem Buch las, hatte ich den Eindruck, viele wollten ihr Leben beenden, nachdem sie einen Identitätsverlust erlebt hatten. Ich denke an den Footballer Preston Campbell, der seine Position im Team verlor, an den Minister Nick Sherry, der zurücktreten musste. Als ehemaliger Vorstand von Lifeline kennen Sie sicher noch mehr Schicksale. Ist es so, dass eine Säule im Leben ins Wanken geraten und alles zusammenstürzen lassen kann?

Spannend, Sie erwähnen zwei Männer. Frauen ist der Beruf zwar wichtig, aber auch Familie, Hobbys, Freunde. Ihr Selbstvertrauen baut nicht nur auf dem Job auf. Bei Männern ist das oft anders, sie definieren sich eher über die Karriere. An einem Tag treffen sie in ihrem prestigeträchtigen Job wichtige Entscheidungen und am nächsten Tag sind sie im Ruhestand und die einzige Entscheidung, die sie treffen müssen, ist, ob sie einen Cappuccino oder einen Kaffee trinken. Für viele ist das ein Identitätsverlust. Vor allem, wenn sie das Ende der Karriere nicht selbst bestimmen konnten. Wie Sportler oder Politiker, wenn sie nicht mehr gewählt werden. Je öffentlicher das geschieht, desto schwieriger ist es, damit umzugehen.

In den 15 Geschichten in Ihrem Buch gibt es immer wieder diese Momente, die Ihren Interviewpartner:innen das Leben retteten. Eine Frau überlebte, weil sie das Fenster, das sonst nie offen war, offen stehen ließ. Und Peter Moloney, der Farmer, der mit seinem Selbstwert kämpfte, sich wegen seiner Legasthenie zu dumm fühlte, wurde von seinem Sohn überrascht, als er überlegte, sich umzubringen.

Peter und einige andere hatten ihre Geschichten noch nie so detailliert erzählt. Auch nicht ihren Familien. Er wollte ein Leck in einem Wassertank auf seiner Farm reparieren. Als er dort ankam, sah er eine Waffe. Dann ist sein Sohn auf dem Motorrad vorgefahren. Das hat ihn aufgehalten.

Ich fand es einerseits berührend und andererseits traurig, dass es von diesen Momenten abhängt, ob man lebt oder nicht. Denn was ist mit den Menschen, die diese Momente nicht erleben?

Genau das denke ich auch. Ich habe mich oft gefragt: Wie können wir dafür sorgen, dass Leute, die das Buch lesen, nicht noch depressiver oder suizidgefährdeter werden? Ich wollte die Geschichten von Menschen erzählen, die einen Weg zurück gefunden haben. Jede Geschichte hat Höhen und Tiefen. Dass alle trotz alledem noch am Leben sind, ist inspirierend. Vielleicht geht es allen nicht gerade blendend, aber sie sind da. Haben Sie vor diesem Buch jemals von Ian Thorpe gehört?

Dem olympischen Schwimmer?

Ein Mann mit grüner Jacke lächelt als er die um seinen Hals hängende Medaille präsentiert

Der Australier Ian Thorpe mit seiner Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. | Thierry Orban/Getty Images

Thorpe gewann mit 17 Jahren bei den Olympischen Spielen 2000 drei Goldmedaillen und stellte einen Weltrekord auf. 2006, mit 24 Jahren, beendete er seine Karriere. Damals kehrten die depressiven Phasen zurück, die er seit der Jugend erlebte. Als er kurz darauf des Dopings verdächtigt wurde, dachte er über Suizid nach. Von dem Verdacht wurde er später freigesprochen. Geht es ihm heute nicht gut, hilft ihm eine Liste. Das Erste darauf: Morgens mit dem Hund spazieren gehen.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie keine Straße entlang gehen können, ohne dass Leute Fotos von Ihnen machen wollen? In gewisser Weise quält ihn der Ruhm. Ians Geschichte zeigt, dass es keine Rolle spielt, wie erfolgreich man ist. Er ist Weltmeister, gewann Goldmedaillen. Psychische Erkrankung unterscheidet nicht. Du kannst reich oder arm sein, du kannst schwarz oder weiß sein, du kannst berühmt oder unbekannt sein, sie diskriminiert nicht. Es kann jeden treffen.

Wenn ich vermute, dass ein Freund Suizidgedanken hat, was soll ich dann tun?

Die Forschung zeigt, es ist wichtig, direkt zu sein. Fragen Sie: „Gehts dir gut? Ich mache mir nämlich Sorgen um dich. Bist du suizidal, willst du dich verletzen oder umbringen?“ Leute fragen oft nicht, weil sie Angst vor einem „Ja“ haben. Aber, wenn jemand neben dir auf der Straße einen Herzinfarkt hat, ist das Mindeste, was du tun kannst, bei der Person zu bleiben und einen Notarzt zu rufen. Auch, wenn du kein Herzexperte bist. Ist ein Freund suizidal, dann bleib bei ihm, rede mit ihm, rufe Organisationen wie Lifeline an, hilf ihm durch die schwierige Zeit. Jeder kann Leben retten, dafür muss man kein Psychologe sein.

Was würden Sie jemanden raten, der Suizidgedanken hat?

Erstens: Du bist nicht der Einzige, der sich so fühlt. Nichts mit dir ist falsch. Es ist okay, sich nicht okay zu fühlen. Und es gibt nichts, wofür man sich schämen muss. Zweitens: Es gibt einen Weg durch diese Zeit. Als ich mich umbringen wollte, glaubte ich nicht, dass es einen Ausweg gibt. Aber es gibt ihn.

Wenn Sie zurückblicken auf die 20 Jahre, die seit Ihrem Suizidversuch vergangen sind: Was hat sich im gesellschaftlichen Umgang mit psychischer Gesundheit geändert?

Manche sagen, ich würde das nicht über mich selbst sagen, dass mein Suizidversuch die öffentliche Debatte in Australien verändert hat. Es gibt mehr Berichterstattung und mehr Unterstützung, aber sicher nicht genug. Meine Frau Lucy würde sagen, dass das Bewusstsein gestiegen, aber die Stigmatisierung nicht genug gesunken ist. Wir reden auch offener über psychische Gesundheit von Menschen, die in Uniform arbeiten, Polizisten, Sanitäterinnen. Deren Arbeit ist purer Stress, sie sehen Gewalt, Tote.

Glauben Sie heutzutage ist es möglich, als Politiker Karriere zu machen, wenn bekannt ist, dass man psychisch krank ist?

Andrew Robb, ein Ex-Minister, hatte während seiner Amtszeit eine dreimonatige Auszeit genommen, um seine Depression behandeln zu lassen. Heute denken viele, Politiker sollen gesund werden und wieder zurückkommen. Bei mir damals war das nicht der Fall. Aber ich denke da nicht oft darüber nach. Die Frage ist: Kann jemand ein Land wie Deutschland regieren und offen über seine Depression sprechen? Es gibt immer noch Branchen, in denen man seinen Job oder die Chance auf eine Beförderung verliert, wenn man psychisch krank ist.

In den Medien, in Australien und auch in Deutschland, gilt der Grundsatz, dass nur in Ausnahmefällen über Suizid berichtet wird. Wie sich eine Person umbringen wollte, wird nicht erwähnt, aus Sorge, andere könnten es nachahmen. Teilen Sie diese Sorge?

Suizid soll nicht normalisiert werden und trotzdem sollten wir darüber nicht schweigen. Für Medienberichte braucht es die Details des Suizides nicht, bei einem Autounfall wird auch nicht genau beschrieben, wie jemand starb. Familien können entscheiden, ob in Berichten Suizid als Ursache genannt werden soll. Wobei es nur nachvollziehbar ist, wenn eine Familie das nicht will. Wenn jemand durch Selbstmord stirbt, verändert sich das Leben der Angehörigen für immer. Auch, weil sie Freunde verlieren. Nicht, weil die Freunde einen verurteilen, sondern weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Aber es ist wichtig zu wissen, dass es Menschen gibt, die da sind. Selbst wenn es nur eine SMS ist: Ich denke an dich, ruf mich an, wenn du Hilfe brauchst.

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Was hilft Ihnen in schwierigen Zeiten?

Ich achte darauf, genug zu schlafen. Ich ernähre mich gut, trinke keinen Alkohol. Ich habe mich von Menschen getrennt, die mir nicht guttun. Medikamente und Therapie helfen. Mein Problem ist, wenn ich mich zu sehr einspannen lasse und sich die Aufgaben auf dem Schreibtisch stapeln, überwältigt mich das. Mir gelingt es nicht immer, auf mich zu achten. Aber ich werde besser darin.

Zum Schluss will ich Ihnen eine Frage stellen, die Sie in Ihrem Buch meist am Ende des Gesprächs gestellt haben: Sind Sie froh, am Leben zu sein?

Bin ich. Ich werde mein ganzes Leben lang mit Selbstmordgedanken und Depressionen leben. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich vielleicht für den Rest meines Lebens Medikamente brauche. Und ich bin noch dabei, mich und was mich prägte, besser zu verstehen. Jetzt bin ich 56 Jahre alt und habe wahrscheinlich mehr Zeit gelebt, als ich noch erleben werde. Außer ich werde 112. Bis dahin will ich mir mehr Zeit nehmen, um innezuhalten und das Leben zu genießen.


Anlaufstellen für den Notfall: Psychiater:innen, Psychotherapeut:innen und Hausärzt:innen. Im Zweifel den Notdienst (in Deutschland die 112) anrufen.

Wenn man selbst betroffen ist, gibt es die Telefonseelsorge unter den Nummern 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222. Der Anruf ist kostenlos und erscheint nicht auf der Telefonrechnung. Für Kinder und Jugendliche gibt es die Youth-Life-Line und die Nummer gegen Kummer: 0800 1110111 und die 116111.

Für diesen Text haben sich folgende Mitglieder an einer Umfrage beteiligt: Christiane, Richard, Benny, Willi, Birgit, Jennifer, Walter, Mary, Sandra, Birgit, Jule, Wolfgang, Ulrike, Maren, Nic, Alexander, Andrea, Werner, Claudia, Heiko, Jens, Kirsten, Sarah, Agathe, Louise, Frank, Dagmar, Michael, Elli, Jutta, Birgit, Judith, Sandra, Kristina, Patricia, Fran, Meike, Mona, Elke, Anne, Amalia, Heike, Susanne, Anna, Marina, Petra, Sigrun, Corinna, Daniel, Eva, Konrad, Sonja, Max, Ruth-Anne, Alina, Marlies, Eva, Thomas, Elke, Yasmin, Jan, Rica, Christine, Julia, Silke, Jerry, Claudia, Robert, Franzi, Steffi, Vinzenz, Claudia, Achim, Ute, Dorothea, Gerda, Marcus, Thomas, Caro, Conny, Hanna, Denise, Gerson, Anna, Elke, Helmut, Günter, Anky, Conny, Thomas, Swantje, Jana, Stella, Heike, Angela, Irma, Stefan, Christine, Ute, Ilka, Katrin, Angi, Claudia.
Herzlichen Dank dafür!


Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger

Wie macht man weiter nach einem Suizidversuch?

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