Eine Draufsicht auf eine Kolonne Panzer.

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Politik und Macht

Warum Drohnen Panzer nicht ersetzen können

Die Bundeswehr soll moderner werden und kauft die gleichen Waffentypen wie vor Jahrzehnten. Denn auch heute noch haben große Panzer, Jets und Fregatten Wert.

Profilbild von Tristan Oetker-Kast
Reporter

Am 1. Juni 2025 verlor die russische Luftwaffe Dutzende ihrer besten und teuersten Flugzeuge – am Boden. Der ukrainische Geheimdienst hatte im Umkreis mehrerer russischer Luftstützpunkte Lkw mit Drohnen an Bord positioniert. Surrend erwachten diese Drohnen, erhoben sich aus den Transportcontainern auf den Lkw-Ladeflächen und stürzten sich auf die russischen Bomber in der Nähe. Russlands Luftabwehr hatte keine Chance.

Der Angriff überraschte die Welt. Auch die Expert:innen. Das Center for Strategic and International Studies titelte: „Wie die ukrainische Operation Spinnennetz asymmetrische Kriegsführung neu definiert.“ In der Frankfurter Rundschau las man: „Russland hat sein Pearl Harbor“, und auch Merkur und Spiegel bedienten sich an dem Vergleich, der zuvor von russischen Militärbloggern auf Telegram gezogen wurde.

Der Vergleich mit Pearl Harbor hinkt. Aber der ukrainische Angriff war dennoch eine Sensation in der Militärwelt. Die Ukraine hatte eine neue, billige Technologie kreativ gegen teures, altes Kriegsgerät eingesetzt.

Drohnen verursachen derzeit die überwiegende Mehrheit der Verluste im Ukraine-Krieg. Sowohl auf ukrainischer als auch auf der Seite des Aggressors. Die New York Times berichtete im November 2024, bis zu 80 Prozent der Verluste in der Ukraine gingen auf das Konto von Drohnen. Laut dem Center for Strategic and International Studies hat sich die Anzahl der Starts russischer Schahed-Drohnen seit September 2024 fast verzehnfacht. Deren verheerende Wirkung lässt sich in Städten wie Kyjiw, Charkiw und Cherson beobachten.

Für Deutschland, das die „konventionell stärkste Armee Europas“ (Bundeskanzler Friedrich Merz) aufbauen will, stellt sich eine grundsätzliche Frage: Sollten wir statt Hunderter großer Panzer, Jets und Fregatten nicht lieber Hunderttausende kleine Drohnen kaufen?

Erklärtes Ziel der deutschen Aufrüstung ist schließlich Abschreckung. Russland soll niemals den Eindruck gewinnen, einen Krieg gegen EU und NATO gewinnen zu können. Russland ist inzwischen selbst eine Drohnensupermacht. Es produziert laut Regierung mehr als eine Million Drohnen pro Jahr, davon sind mindestens 60.000 schwere Kampfdrohnen.

Die Befürchtung: Wenn Deutschland heute Waffen von gestern kauft, wäre das neue deutsche Großgerät leichte Beute für die erfahrenen russischen Drohnenstreitkräfte. Damit könnte Russland sich Chancen im Krieg von morgen ausrechnen.

Auf dem Schlachtfeld findet ein Paradigmenwechsel statt und die Gefahr ist, dass das vorsichtig-zögerliche Deutschland den Wandel verschläft und die einmalige Summe von 500 Milliarden Euro verschwendet. Aber Rüstungsexperten glauben, dass Panzer und Jets weiterhin eine Rolle spielen werden und es falsch wäre, nur auf Drohnen zu setzen.

Das hat mehrere Gründe.

1. Drohnen wirken im Ukraine-Krieg nur omnipräsent, weil es an Bewegung und Artillerie fehlt

“Es ist derzeit medienwirksam zu sagen, dass Drohnen eine Revolution wie Schwarzpulver sind. Ich bin der Ansicht, Drohnen sind eher ein Mittel. In der Kriegsführung gibt es kein Allzweckmittel, sondern es ist immer ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Systemen, die viele unterschiedliche Capabilities haben.” sagt Christoph Bergs, Militärhistoriker und Luftkriegexperte vom britischen Royal United Services Institute. “Dass FPV-Drohnen so viele Verluste verursachen, liegt auch daran, dass es ein Stellungskrieg ist. Wenn das in Bewegung kommt, wird diese Quote sehr wahrscheinlich sinken. Hierbei würden Aufklärungsdrohnen weiterhin wichtig bleiben.”

Das deckt sich auch mit den Fakten. In der ersten Phase des Krieges, als sich die Frontlinien vergleichsweise zügig verschoben, verursachten Drohnen nur einen Bruchteil der Verluste. Zudem mangelt es sowohl der Ukraine als auch Russland laut des Thinktanks RUSI an Artillerie. Die Lücke stopfen beide Seiten mit den allgegenwärtigen Drohnen.

2. Jede Drohne ist ihre eigene Propagandaeinheit

Wie verbreitet die kleinen Flieger wirklich sind, ist für Laien nur schwer einzuschätzen. Denn Drohnen produzieren ihre eigene Propaganda. Jede FPV-Drohne filmt mit. Große Teile der Bilder des Krieges stammen aus ihren Kameras. Das verzerrt das Bild. Denn gepostet werden vor allem die Clips, in denen eine Drohne erfolgreich war.

3. Panzer passen sich an

„Totgesagte leben länger“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Das gilt auch für Panzer. Bereits 1919 erklärte der britische Generalmajor Sir Louis Jackson, der Panzer wäre ein „Freak“ gewesen und die Umstände, die ihn hervorgebracht hätten, kämen wahrscheinlich nicht wieder vor. Er hätte sich kaum stärker irren können.

So wie man damals Panzerplatten und Stahlsorten weiterentwickelte, arbeiten die Rüstungsfirmen heute bereits an Lösungen, um Panzer besser vor Drohnen zu schützen. Mit Erfolg, wie dieses Video auf der Plattform X zeigt. Dort siehst du einen Panzer, dessen provisorisch wirkender Drohnenschutz dafür gesorgt hat, dass über 30 FPV-Drohnen nötig waren, um ihn zu zerstören.

Unbesiegbar wird ein Panzer dadurch nicht, aber das ist auch nicht zu erreichen. Panzerung stellt immer einen Kompromiss zwischen Schutzwirkung und Mobilität dar. Schwachstellen gibt es dabei immer. Einige sind nicht zu vermeiden, einige nimmt man bewusst in Kauf, weil sich daraus bespielsweise Vorteile in der Mobilität ergeben. Systeme und Taktiken passen sich an.

4. Gegen Jets sind Drohnen machtlos

Der Iran ist gut aufgestellt, wenn es um Drohnen geht. Ein großer Teil der Drohnen, die gerade Woche für Woche auf ukrainische Städte niederregnen, sind iranischen Designs. Allen voran die berüchtigte Schahed.
Doch der iranische Konflikt mit Israel hat gezeigt: Auch fortgeschrittene Drohnen helfen nicht, wenn man den eigenen Luftraum nicht vor feindlichen Jets schützen kann. Israel stellte mit F-35-Jets die Luftüberlegenheit her und ebnete damit den Weg für weitere Angriffe. Die iranischen Tomcats wurden zerstört, bevor sie abheben konnten. Drohnen ersetzen keine konventionelle Luftwaffe.

Aber auch im Kampf gegen Drohnen sind Jets ein wertvolles Asset. Jets wie die F-16 und die Mig-29 erzielten in der Ukraine Erfolge gegen Drohnen, obwohl beide in den Siebzigerjahren entwickelt wurden. Sie unterstützen dort die herkömmliche Luftabwehr.

5. Drohnen können keinen Schützengraben erobern

Es ist ohne Feuerunterstützung durch Kampf- und Schützenpanzer nicht möglich, eine befestigte Stellung einzunehmen. Ein Panzermangel beschleunigt also den Stellungskrieg, der wiederum den Drohnenkrieg beschleunigt. Denn ja, auch Russland gehen die Panzer aus, wie die Süddeutsche Zeitung 2024 durch eine umfangreiche Recherche belegte.

Aber auch für Luftangriffe mit Marschflugkörpern sind Kampfjets bisher noch unentbehrlich. Diese spielen in der Ukraine eine wichtige Rolle, da Kampfjets dort nicht weit an den gegnerischen Luftraum heranfliegen können, ohne ihren Abschuss zu riskieren. Marschflugkörper können weit außerhalb der Reichweite gegnerischer Luftabwehr ausgeklinkt werden und fliegen selbstständig ins Ziel. Das ist einer der Gründe, warum der Verlust der Bomber für Russland so schwer wiegt.

6. Nichts ist so wirkungslos wie die Drohne von gestern

2024 produzierte die Ukraine über 2,2 Millionen Drohnen. Eine Zahl, die sie 2025 mehr als verdoppeln will. Auch Russland hat seine Produktion in den vergangenen Jahren immer weiter gesteigert.

So schnell wie möglich Hunderttausende Drohnen anzuschaffen, ist aber keine Lösung. Die Innovationszyklen des Drohnenkriegs schreiten in der Ukraine mit solcher Geschwindigkeit voran, dass die effektivsten Taktiken und Drohnen von heute in sechs Wochen schon veraltet sein können. Große Lagerbestände an Drohnen aufzubauen und gleichzeitig zu versuchen, diese aktuell zu halten, wäre Geldverschwendung und Sisyphusarbeit.

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Ein Beleg dafür ist die türkische Drohne Bayraktar, die in den ersten Monaten des Ukraine-Krieges so erfolgreiche Einsätze flog, dass sie zu einem Internet-Meme wurde und Menschen ein Lied über sie komponierten. Inzwischen spielt sie im Ukraine-Krieg keine offensive Rolle mehr. Zu langsam, zu leicht zu orten, zu anfällig für die russische Flugabwehr. Die Ukraine setzt sie nur noch zur Aufklärung ein.

Die Bundeswehr setzt aus all diesen Gründen weiter auf das Gefecht der verbundenen Waffen – das Zusammenspiel von Jets, Panzern, Helikoptern, Drohnen und Fußsoldaten. Dazu werden große Mengen an Systemen benötigt, die jetzt existieren. Diese gilt es so weit wie möglich zu modernisieren. Ja, ein Leopard 2 A8 basiert im Kern auf Technik aus den Siebzigerjahren. Aber das ist im Verteidigungsfall besser als der modernste Panzer auf dem Reißbrett.

Keine Waffe verschwindet sofort

Sollten die Planer im Verteidigungsministerium komplett falsch liegen und Drohnen eines Tages trotz allem zur alles dominierenden Waffe werden, haben sie Zeit, ihren Fehler zu korrigieren. Das jedenfalls lehrt die Geschichte.

Denn selbst das Schwarzpulver, eine der mächtigsten menschlichen Militärerfindungen, hat Ritter, Armbrust, Schwert und Langbogen nicht sofort verdrängt. Der tschechische Feldherr Jan Žižka von Trotznow setzte in den Hussitenkriegen Schusswaffen und neuartige Taktiken extrem erfolgreich ein, kam aber trotzdem nicht ohne gepanzerte Ritter aus. Im Wrack des 1545 gesunkenen englischen Kriegsschiffs Mary Rose fanden Archäologen sowohl Kanonen als auch Langbögen. Das Schwert fand sogar erst im 20. Jahrhundert sein Ende als Schlachtfeldwaffe.

Der Panzer und der Kampfjet werden das Schlachtfeld noch eine ganze Weile nicht verlassen.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Warum Drohnen Panzer nicht ersetzen können

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