Ich hatte immer meine Probleme mit Candlelight-Dinnern und tränenreichen Hochzeitsreden. Das Wort „romantisch“ finde ich beklemmend. In meinen 20ern war ich sogar eine Zeit lang von einer fast schon krankhaften Angst geplagt, dass sich ein Mann aus Eifersucht um mich prügeln könnte. Etwas Peinlicheres konnte ich mir nicht vorstellen. Ich hatte das anscheinend so oft in Filmen gesehen, dass ich dachte, mir könnte das auch passieren.
Ganz schlimm hätte ich auch den Heiratsantrag gefunden, von dem mir einmal eine Bekannte erzählte: Der Mann ihrer Nachbarin fragte diese hoch in der Luft über dem Atlantik, ob sie seine Frau werden wollte. Der Pilot machte eine Durchsage, das Bordpersonal brachte Sekt.
Sie sagte ja. Allerdings weiß ich nicht, ob sie ihren Mann trotz oder gerade wegen des ungewöhnlichen Antrags geheiratet hat. Vielleicht fühlte sie sich wie die Heldin einer Rom-Com, einer romantischen Komödie, und hat mit Tränen in den Augen zugestimmt. Vielleicht hatte sie aber auch ambivalente Gefühle, wollte dann aber vor den anderen Passagieren nicht nein sagen und einen Transatlantikflug in eisigem Schweigen verbringen.
„Große romantische Gesten in der Öffentlichkeit lassen der Adressatin keinen Raum, nein zu sagen oder Grenzen zu setzen“, schreibt Beatrice Frasl in ihrem Buch „Entromantisiert euch“. Sie sieht die romantische Liebe höchst kritisch. Vor allem, weil sie in unserer Kultur so dominant ist, dass sie andere Beziehungsformen abwertet.
Andere sehen das ähnlich. Die 4B-Bewegung aus Südkorea oder „Boysober“ in den USA schwören Männern ab: keine Heirat, keine Kinder, keine Dates oder sexuellen Beziehungen mit Männern. Heteropessimismus oder auch Heterofatalismus sind Begriffe, die dieses Phänomen beschreiben. Damit ist die Hoffnungslosigkeit gemeint, die sich bei immer mehr Hetero-Frauen breitmacht: Kann man wirklich gleichberechtigt mit Männern zusammenleben?
Ich verstehe sehr gut, warum es der heterosexuellen Romantik heutzutage schlecht geht. Die Gleichberechtigung kommt nicht so richtig voran, häusliche Gewalt nimmt sogar zu. Allerdings lebe ich selbst sehr gerne in einer Paarbeziehung mit einem Mann. Diese besondere Nähe zu einem Menschen ist etwas, das ich sehr mag. Ich mag, dass ich mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen kann, über alles mit ihm reden kann und gleichzeitig weiß, dass ich eine ehrliche Antwort bekomme. Dass wir uns jeden Tag erneut aufeinander einlassen und uns vorstellen können, das auch in 20 Jahren noch zu tun. Ich bin sogar verheiratet, obwohl ich das eigentlich nie vorhatte.
Ich weiß aber auch: Zwischen Männern und Frauen läuft immer noch unfassbar viel falsch. Und unsere Idee von Romantik ist Teil des Problems. Und dennoch, oder gerade deswegen, habe ich eine radikale Idee: Gerade wir Romantik-Skeptiker:innen sollten uns die Romantik zurückerobern.
In den frühen 2010er Jahren war ich auf einer WG-Party. Es muss zwischen 2011 und 2013 gewesen sein. Zeit der Skinny-Jeans und Seitenscheitel, man hörte Lykke Li, Cat Power, the XX oder Mumford and Sons.
Es war eine große Wohnung, in der geräumigen Küche drängten sich die Leute. Plötzlich ging eine Art Raunen durch die Menge und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Mann. Er war etwa Mitte 30, ein kumpeliger, etwas bäriger Typ, mit dem man sofort ein Bier trinken möchte. Männer klopften ihm auf die Schulter, Frauen umarmten ihn, alle strahlten ihn an. Er war gerade Vater geworden. Das interessierte mich brennend. Denn ich hatte die Mitte 20 überschritten und gerade angefangen, die Kinderfrage zumindest grob für mich auszuloten.
Die Baby-Begeisterung war ansteckend. Ich wollte von dem Vater wissen: Wie macht ihr das denn so? Wenn deine Frau heute mit dem Baby zuhause ist und du feierst, ist sie dann nächstes Wochenende unterwegs?
Das Baby war erst wenige Tage oder Wochen alt, daher war mir schon bewusst, dass meine Frage nicht ganz fair war. Aber mir war das sehr wichtig: Bedeutete Kinderkriegen, dass nur noch der Mann feiern geht und ich als Frau zuhause bleiben muss?
Er war ziemlich pissed. In kürzester Zeit umkreisten wir uns wie zwei Boxer im Ring. Ob ich denn eine von den Feministinnen sei, spuckte er spöttisch aus, die glaubten, es gäbe keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Ganz genau, hielt ich dagegen und verrannte mich damit. Darum ging es mir doch gar nicht, ich wollte nur wissen, wie er und seine Frau planten, sich die Sorgearbeit aufzuteilen. Ich wollte, dass er mir sagt: Gleichberechtigte Elternschaft ist ganz easy.
Wir diskutierten noch eine Weile ohne befriedigenden Ausgang. Anschließend gingen wir uns für den Rest der Party aus dem Weg.
Dass gleichberechtige Elternschaft easy ist, stimmte damals natürlich genauso wenig wie heute. Für Frauen zumindest ist die romantische Liebe meistens eine schlechte Idee. „Die Liebe ist, wahrscheinlich mehr noch als das Kinderkriegen, der Schlüssel zur Unterdrückung der Frauen“, befand die US-Feministin Shulamith Firestone. Das Patriarchat kann Frauen dazu bringen, sich „aus Liebe“ aufzuopfern: ihre Karriere, ihre Freizeit, ihr ganzes Ich. Wer diese kulturelle Prägung ungefragt übernimmt, findet sich, oft ohne es zu wollen, schnell in einer Situation wieder, in der der Mann Karriere macht oder einfach nur ein geiles Leben abends in der Kneipe hat, während sie völlig erschöpft mit den Kindern ins Bett fällt, ohne auch nur eine Sekunde für sich gehabt zu haben.
Die unbezahlte Arbeit, die Frauen aus Liebe machen, mache sie unsichtbar, schreibt Frasl. „Frauen sind nun nicht mehr per Gesetz zuhause eingesperrt, aber per Arbeitsteilung.“ Dazu kommt: Angesichts der hohen Zahlen an Femiziden – in Deutschland wird fast jeden dritten Tag eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet – ist es für Frauen sogar lebensgefährlich, romantische Liebesbeziehungen mit Männern einzugehen. Allen, die die Wahl haben, rät Frasl daher: Lasst es besser sein.
Romantischen Beziehungen mit Männern abzuschwören, ist eine sehr rationale Reaktion auf das patriarchale System. Für viele Frauen ist es bestimmt der richtige Weg. Für viele, wie mich, aber auch nicht.
Meine heterosexuelle Kleinfamilie ist keine Müllhalde
Frasl will, dass die verschiedenen Beziehungsformen wie Freundschaften oder auch die Beziehung zu unseren Geschwistern gleichberechtigt zur romantischen Liebe behandelt werden. Da gehe ich zu 100 Prozent mit. Aber Frasl glaubt eigentlich auch nicht daran, dass die heterosexuelle Paarbeziehung noch zu retten ist. Sie schreibt: „Der Wunsch, die heterosexuelle Paarbeziehung und die aus ihr entstehende Kleinfamilie zu einer gleichberechtigten Partnerschaft umzufunktionieren, ist ungefähr genauso naiv wie die Vorstellung, man würde eine Müllhalde zu einem Blumenbeet umfunktionieren, indem man eine Rose darauf pflanzt.“
Das triggert meinen neuen Romantik-Nerv, den ich gerade zu kultvieren versuche: Ist das nicht eigentlich ein schönes Bild? Wenn man nicht nur eine, sondern viele Rosen pflanzt, wird aus der Müllhalde tatsächlich ein Rosengarten. Das mag naiv und unrealistisch klingen. Oder eben: romantisch.
Was wir als Romantik verstehen, ist oft Dominanz und Kontrollverhalten
So sieht eine klassische heterosexuelle Paarbeziehung aller statistischen Wahrscheinlichkeit nach aus: Er ist größer als sie (zumindest wünscht sie sich das), verdient mehr (spätestens wenn Kinder da sind), hat den höheren Bildungsabschluss (immer noch, Tendenz abnehmend) und hat mehr Freizeit, weil sie, wenn sie nicht gerade erwerbsarbeitet, die Hausarbeit übernimmt, Geschenke für die (Groß-)Eltern und Kinderkleidung besorgt oder sich seine Sorgen von der Arbeit anhört.
Das ist schon genug Machtgefälle. Nun kommt aber noch etwas hinzu, dass mir erst so richtig bewusst geworden ist, als ich Frasls Buch gelesen haben: Vieles, was wir als romantisch bezeichnen, ist eigentlich Grenzüberschreitung, Kontrollverhalten oder Manipulation.
Als Beleg nennt sie eine als „feministisch“ vermarktete Rom-Com aus dem Jahr 2024: „The Idea of You“, eine Liebesgeschichte zwischen der 40-jährigen Galeriebesitzerin Solène, und dem 24-jährigen Sänger Hayes.
Bei einem Konzert lässt Hayes die Scheinwerfer auf Solène richten und singt für sie ein Liebeslied. „Solène kann nicht sagen ‚Fick dich, Hayes, ich bin hier, um mir das Konzert anzusehen, ich will nicht von dir bloßgestellt oder überrumpelt werden“, schreibt Frasl, „sie kann es weder in diesen Worten sagen, noch nett.“
Weitere Grenzüberschreitungen im Film: Hayes kauft alle Kunst in Solènes Galerie, damit sie nicht mehr arbeiten muss und mehr Zeit für ihn hat. Er küsst sie, obwohl sie mehrfach nein sagt. Als sie ihn nach Hause schickt, lässt er absichtlich seine Uhr bei ihr liegen, damit sie ihn wieder kontaktieren muss.
Das Beispiel solcher Filme zeigt, so schreibt Frasl, „wie normal Gewalt ist. Wie sehr das, was wir unter Romantik verstehen, schon inhärent von Gewalt geprägt ist.“
Aus dieser Logik heraus lässt sich auch erklären, warum Femizide noch bis vor Kurzem „Eifersuchtstaten“ genannt wurden. Frasl weist darauf hin, dass es sich in Prozessen gegen die Täter von Femiziden sogar strafmindernd auswirken kann, wenn sie angeben, dass sie ihre Opfer eben so sehr geliebt hätten. Liebe diene Männern als Rechtfertigung von Gewalt – und Frauen als Rechtfertigung bei ihrem gewalttätigen Partner zu bleiben.
Auch gleichgeschlechtliche Beziehungen blieben davor nicht verschont, schreibt Frasl. Denn: „In einer heteronormativen Welt, die Heterosexualität und Heteroromantik als Norm und Ideal setzt, lernen wir von Erzählungen über diese Heteroromantik, was Romantik an und für sich ist, was Liebe überhaupt ist und was sie sein darf.“ Sie zitiert Studien, wonach 43,8 Prozent aller lesbischen Frauen und 26 Prozent aller schwulen Männer im Laufe ihres Lebens in Partnerschaften Gewalt erfahren (die Zahl für lesbische Frauen beinhaltet auch Gewalt, die sie durch Männer in früheren Beziehungen erlebt haben).
Von queeren Personen lernen
Auch lesbische, schwule, trans und nicht-binäre Personen können sich nicht vom Patriarchat freimachen. Trotzdem glaube ich, dass Heteros von ihnen lernen können. Denn queere Menschen bieten dem Patriarchat viel radikaler die Stirn.
Noch vor nicht langer Zeit, war es undenkbar, dass queere Menschen offen leben, heiraten und Kinder haben. Nicht-Binarität ist erst seit wenigen Jahren überhaupt ein Thema. In den letzten Jahren haben queere Menschen zunehmend Rechte für Transgender Personen erkämpft.
Wenn so viel Veränderung möglich ist – warum sollten wir es nicht auch schaffen, gleichberechtigte romantische Beziehungen zu haben? Hier meine steile These: Vielleicht gab es sie sogar schon immer, unter dem Radar, so wie lesbische und schwule Paare, Transpersonen oder atheistische Menschen in religiösen Gesellschaften. Paare, die romantische Vorstellungen vom starken Mann und der schwachen Frau auch in den 1920er, 30er oder 80er Jahren schon albern fanden und sich lieber als Partner:innen auf Augenhöhe verstanden.
Kultur lässt sich ändern, Normen können immer wieder gebrochen werden, bis etwas Neues zum Vorschein tritt. Besonders in den Bereichen Sex und Elternschaft dürfen wir uns nicht vom Status-quo diktieren lassen, was sein kann.
Wir brauchen eine Erotik der Gleichheit
Die Philosophin Manon Garcia untersucht in ihrem Buch „Gespräch der Geschlechter“ die Zustimmung als Grundbedingung für guten Sex und Emanzipation. Für Garcia ist die sexuelle Zustimmung ein „erotisches Gespräch“ und damit „zweifellos die Zukunft der Liebe und des Sexes.“ Zustimmung wird also nicht einseitig und einmalig vor dem Sex gegeben, sondern währenddessen, wie in einem Gespräch, immer wieder ausgetauscht.
Damit brechen wir mit nichts Geringerem als den Idealen der Aufklärung. Die war nämlich gar nicht so rational wie landläufig angenommen, sondern voller Widersprüche. Für den bekannten Philosophen der Aufklärung Jean-Jacques Rousseau galt die Freiheit jedes einzelnen nur in der öffentlichen Sphäre, die private Sphäre war für ihn durch Beziehungen der Abhängigkeit und die natürliche Unterordnung der Frau bestimmt. Wie Garcia in ihrem Buch zeigt, bedeutet sexuelle Zustimmung für ihn: „Es genügt, wenn sie wenig Widerstand leistet.“ Die Frau muss Scham und Zurückhaltung zeigen, passiv bleiben und schamvoll nachgeben. Inwieweit ein „Nein“ dann Ausdruck ihrer natürlichen Unterordnung und Schamhaftigkeit oder ihres tatsächlichen Willens ist, bleibt entsprechend offen.
Statt Gleichheit will Rousseau die Verschiedenartigkeit erotisieren, beziehungsweise eine „natürliche Komplementarität der Liebenden“. Homosexualität lehnt Rousseau konsequenterweise ab.
Die Lösung ist also, statt Dominanz Gleichberechtigung zu erotisieren, wie Garcia in diesem Arte-Beitrag erklärt: Augenhöhe kann sehr sexy sein.
Neue Lügen, die uns das Fest der Welt bereiten
2019 bekam ich mein erstes Kind. Fünf Wochen nach der Geburt feierte eine meiner besten Freundinnen ihren Junggesellinnenabschied. Schon als ich zusagte, dachte ich an den Party-Dad zurück: Da hast du es, du Hirsch! Ich würde mich in meine Prä-Schwangerschaftsjeans pressen und mit meinem alten Prä-Baby-Ich einen tollen Abend haben.
Das klappte natürlich nur bedingt. Der Typ konnte damals so viele Biere mit Alkohol trinken und so lange bleiben, wie er wollte. Ich musste nach ein paar Stunden und einem alkoholfreien Weizen nach Hause gehen, weil meine Stillbrüste explodierten. War es also eine Lüge zu denken, dass ich es ihm damit voll heimgezahlt habe? Auf jeden Fall.
Hat es sich trotzdem gelohnt? Ich antworte mit Tocotronic. „Pure Vernunft darf niemals siegen“, singt Dirk von Lowtzow. Und weiter: „Wir brauchen dringend neue Lügen, die uns durchs Universum leiten und uns das Fest der Welt bereiten.“ Der Junggesellinnenabschied war ein solches Fest der Welt. Allein die Fahrt in der U-Bahn – ich, allein, Musik hörend – war nach der Zeit im Wochenbett ein Rausch.
Aktuell ist es noch eine Lüge zu sagen, Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind gleichberechtigt. Aber es ist eine Lüge, von der ich mich gerne leiten lassen will. Denn im Gegensatz zu einer Utopie kann etwas, das heute gelogen ist, morgen schon Realität sein.
Mein Partygirl-im-Wochenbett-Moment war eine Lüge, aber eine, auf der ich noch lange durch durchwachte Nächte und Schreiphasen gesurft bin. Es war eine Lüge, die mir gezeigt hat, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Seit über sechs Jahren loten mein Mann und ich täglich neu aus, was gleichberechtigte Elternschaft bedeutet. Und das ist Realität.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer; Audioversion: Iris Hochberger