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Beim Thema Arbeitsbelastung von Lehrkräften muss ich immer an meinen Vater denken. Er ist Lehrer und redet sehr viel davon, was er noch tun muss. Mal sind es die Geschichtsklausuren, die er noch korrigieren, mal die Facharbeiten, die er noch lesen oder der Unterricht, den er noch vorbereiten muss.
Vergangene Woche wurden die Ergebnisse der OECD Teaching and Learning International Survey (TALIS) veröffentlicht. Dafür wurden 280.000 Lehrkräfte in 55 Ländern befragt. Zu unterschiedlichen Themen: ihrer Zufriedenheit, ihrem Stresslevel oder auch ihrer KI-Nutzung.
Die Ergebnisse haben mich überrascht: Neun von zehn befragten Lehrkräften sind insgesamt zufrieden mit ihrem Beruf. Nur 20 Prozent der befragten Lehrkräfte geben an, im Beruf viel Stress zu erfahren. Drei von vier Lehrkräften würden sich erneut für ihren Beruf entscheiden, wenn sie nochmals wählen müssten.
Mich hat es – man könnte sogar sagen – schockiert, dass Lehrkräfte international eher zufrieden und gar nicht so gestresst sind. Von Lehrkräften in Deutschland habe ich ein anderes Bild: Sie sind immer an der Grenze zum Burnout. Ich verstehe das, es ist ein anspruchsvoller Job. Egal, wie es einem geht, ob man mit einem dicken Pickel auf der Stirn oder einem Wutgefühl im Bauch aufgewacht ist: Man muss vorne vor der Klasse stehen.
Gleichzeitig gibt es immer noch dieses Vorurteil, dass Lehrkräfte extrem viel Urlaub haben aka sechs Wochen Sommerferien, dass sie im Unterricht Kaffee trinkend ein paar Anekdoten aus der DDR oder von den wilden 70ern erzählen und schon mittags nach Hause stratzen.
Sind Lehrkräfte in Deutschland jetzt faul oder genau das Gegenteil?
Bei der Talis-Befragung wurden Lehrkräfte in Deutschland nicht befragt. Der Journalist Malte Neumann hat für „Table Media“ beim Bildungsministerium nachgefragt, warum. Eine Antwort: Es gebe schon genug Studien mit ähnlichen Infos. Ich wollte gerne wissen, wie es Lehrkräften in Deutschland wirklich geht und habe nach den entsprechenden Zahlen und Studien gesucht.
Es gibt eine Studie der Bosch-Stiftung von 2024, eine bundesweite repräsentative Stichprobe von 1.608 Lehrkräften. Derzufolge fühlt sich die Mehrheit deutscher Lehrkräfte sehr stark belastet. 78 Prozent gaben an, dass der Beruf sie stark beanspruche. Über ein Drittel der Lehrkräfte fühlt sich mehrmals in der Woche erschöpft, jede:r Zehnte sogar täglich. Wesentliche Stressfaktoren sind Personalmangel, hohe Erwartungen, ständige Erreichbarkeit, zunehmende Aufgaben neben dem Unterricht und mangelnde Erholungszeiten. Im internationalen Vergleich fühlen sich Lehrkräfte in Deutschland häufiger emotional erschöpft. Jüngere Lehrkräfte, Frauen und Lehrkräfte an Grundschulen sind besonders erschöpft.
Die Mehrheit deutscher Lehrkräfte ist dennoch mit ihrem Beruf zufrieden, nämlich 75 Prozent. Im internationalen Vergleich sind Lehrkräfte in Deutschland jedoch weniger zufrieden.
Eine Studie der Uni Göttingen zur Arbeitszeit und Arbeitsbelastung Berliner Lehrkräfte von 2025 zeigt, dass Lehrkräfte im Durchschnitt mehr arbeiten als vorgesehen, mit Spitzen von über 48 Stunden pro Woche. Die Stressbelastung entsteht nicht nur durch lange Arbeitszeiten, sondern auch durch hohe emotionale Anforderungen, Digitalisierung, Lärm und mangelnde administrative Unterstützung. Viele Lehrkräfte würden ihren Beruf nicht mehr ergreifen.
Wenn du nochmal 18 wärst, würdest du wieder Lehrer:in werden?
Warum es Lehrkräften in Deutschland anscheinend so viel schlechter geht als in anderen Ländern, weiß ich nicht. Ich finde es aber extrem spannend. Bist du selbst Lehrkraft? Wie hoch ist deine Arbeitsbelastung? Wenn nochmal 18 wärst, würdest du wieder Lehrer:in werden? Schreib mir gerne, du kannst einfach auf diese Mail antworten. Falls du Einblicke in das Leben von Lehrkräften in anderen Ländern hast, schreib mir auch gern.
Was wir diese woche lesen
📕Ich lese gerade “Die Ausweichschule” von Kaleb Erdmann: ein Roman über einen jungen Mann, der als Elfjähriger einen Amoklauf an seiner Schule miterlebt hat. Erdmann hat selbst als Elfjähriger einen Amoklauf überlebt. Jetzt versucht er – wie sein Protagonist – darüber zu schreiben und die passenden Worte zu finden.
📙Außerdem habe ich diesen Artikel im Tagesspiegel über die Machenschaften der Berliner Schulaufsicht gelesen. Ich fand es sehr interessant, weil wir bei unserer Rechtsextremismus-Recherche immer wieder über die Black Box Schulaufsicht gestolpert sind.
So geht es auch
Unsere Praktikantin Toyah Höher ist über einen interessanten Trend auf Social Media gestolpert: der “my personal curriculum” Trend.
Leute (zugegeben: vor allem Frauen) posten auf Tiktok ihren persönlichen Lernplan. Also eine Liste mit Dingen, sie lernen wollen, sei es eine Sprache, ein Geschichtsthema oder was sie dieses Semester in der Uni schaffen wollen. Dadurch, dass sie es posten, teilen sie es mit anderen Menschen und der Ansporn, die Lernziele zu erreichen, ist höher. Besonders populär sind “Follow-up-Posts”, also Beiträge, in denen geteilt wird, was man schon geschafft hat.
Ich kenne das von mir: Wenn ich mit meinen Kolleg:innen teile, was ich heute schaffen will, steigen die Chancen enorm, dass ich mich an meine Ziele halte. Muss ja nicht direkt auf Tiktok sein. Aber vielleicht sind solche Videos eine Möglichkeit, wie man als Schüler:in Motivation für das Lernmaterial entwickeln könnte – dafür braucht man aber natürlich auch eine gewisse Entscheidungsfreiheit bei den Inhalten. Ich persönlich will mich gerade in den spanischen Bürgerkrieg einlesen, aber vergesse solche hehren Ziele auch ganz schnell wieder. So ein Video, das mich zur Rechenschaft zieht, würde vielleicht helfen.
Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer