Das Coronavirus zeigt einmal mehr, dass Menschen Fakten ablehnen, die nicht zu ihrer Weltanschauung passen. Denn es geht um mehr als die Anerkennung wissenschaftlicher Tatsachen. Für viele geht es um die Grundlage ihrer Existenz.
Der US-amerikanische Corona-Experte und Pandemie-Berater Anthony Fauci ist nicht zu beneiden: Präsident Donald Trump und die Gouverneure der US-Bundesstaaten machen ihm in der Corona-Krise mit unterschiedlichen Empfehlungen und der zögernden Umsetzung von Vorbeugungsmaßnahmen das Leben schwer. Hinzu kommt nach Faucis Ansicht noch eine „wissenschaftsfeindliche Voreingenommenheit“ in der Bevölkerung, die eine effektive Bekämpfung der Pandemie unmöglich macht.
Der Immunologe nennt diese Vorurteile „unfassbar“, denn „Wissenschaft ist Wahrheit.“ Und er vergleicht diejenigen, die die Bedeutung von Masken und sozialer Distanzierung abstreiten, mit Impfgegner:innen. Beiden gemeinsam sei die „verblüffende“ Weigerung, der Wissenschaft zu vertrauen.
Mich selbst verblüfft Faucis Erstaunen. So bewandert er auch rund um das Coronavirus ist, übersieht er doch das etablierte Forschungsgebiet der „Anti-Wissenschafts-Voreingenommenheit“ – kurz der Wissenschaftsverweigerung. Denn Amerikaner:innen leben nun einmal zunehmend in stark polarisierten, von Wissen abgeschotteten ideologischen Gemeinschaften, die ihre eigenen Informationswelten haben.
In Teilen der politischen Blogosphäre wird die globale Erwärmung entweder als Schwindel abgetan oder als so unsicher dargestellt, dass sie einer Antwort nicht würdig ist. Andere lokale Gemeinschaften oder Online-Communitys verzerren oder ignorieren wissenschaftliche Erkenntnisse über die Sicherheit von Impfstoffen, über chloriertes oder fluoridiertes Trinkwasser und genetisch veränderte Lebensmittel. Speziell beim Coronavirus gibt es je nach Parteizugehörigkeit eine deutliche Diskrepanz, wie besorgt jemand wegen der Pandemie ist. Das beruht anscheinend darauf, dass sich die Parteien nicht einig sind, wie wirksam soziale Distanzierung zu anderen Menschen oder wie hoch die COVID-19-Todesrate tatsächlich ist.
Theoretisch sollte es relativ einfach sein, Streitigkeiten über Tatsachen beizulegen. Man muss nur stichhaltige Beweise finden oder belegen, dass sich zumindest die Expert:innen einig sind. Dieser Ansatz ist in den meisten Fällen erfolgreich, wenn es zum Beispiel um das Atomgewicht von Wasserstoff geht.
Aber das funktioniert nicht, wenn wissenschaftliche Gutachter:innen ein Bild vermitteln, das die vermeintlichen Interessen oder die ideologische Weltanschauung einer Person bedroht. In der Praxis hat sich herausgestellt, dass die politische, religiöse oder ethnische Identität eines Menschen recht zuverlässig seine Bereitschaft voraussagt, Fachwissen über ein bestimmtes politisiertes Thema zu akzeptieren.
Die Sozialwissenschaftler:innen sprechen von „Motivated Reasoning“ (motiviertem Denken), wenn der Denkprozess unbemerkt in die gewünschte Richtung gelenkt wird, weil man ein bestimmtes Ergebnis vorzieht. Wie ich in meinem Buch „The Truth About Denial“ (Die Wahrheit über das Leugnen) beschreibe, gilt diese sehr menschliche Tendenz für alle Arten von Fakten über die materielle Welt, die Wirtschaftsgeschichte und aktuelle Ereignisse.
Unwissenheit ist nicht der Grund für das Leugnen von Tatsachen
Die interdisziplinäre Untersuchung dieses Phänomens hat eines deutlich gemacht: Verschiedene Gruppen scheitern nicht daran, beispielsweise die Wahrheit über den Klimawandel anzuerkennen, weil es an Informationen mangelt, die unter Wissenschaftler:innen unumstritten sind. Schlicht und einfach hängt es von der politischen Überzeugung ab, ob man bei umstrittenen Themen das Wissen von Expert:innen annimmt oder ablehnt.
Eine Metastudie – also eine Zusammenschau vieler Einzeluntersuchungen – aus dem Jahr 2015 zeigte: Die ideologische Polarisierung bei dem Thema, ob es den Klimawandel gibt oder nicht, steigt mit dem Wissen der Befragten über Politik, Wissenschaft und/oder Energiepolitik. Die Wahrscheinlichkeit, dass Konservative die Ergebnisse der Klimaforschung ablehnen, ist deutlich höher, wenn sie über eine Hochschulausbildung verfügen. Konservative, die bei Tests ihrer kognitiven Fertigkeit oder ihres quantitativen Denkens am besten abschneiden, sind am empfänglichsten für motiviertes Denken beim Thema Klimawissenschaften.
Aber das Leugnen von Tatsachen ist nicht nur bei Konservativen ein Problem. Studien haben gezeigt, dass Liberale weniger wahrscheinlich einen Expert:innenkonsens darüber akzeptieren, dass eine sichere Lagerung von Atommüll möglich ist oder wie sich Gesetze gegen illegalen Waffenbesitz auswirken.
Das Verdrängen unliebsamer Erkenntnisse ist praktisch angeboren
Die menschliche Begabung zur Rationalisierung ist ein Produkt von vielen hunderttausend Jahren der Anpassung. Schon unsere Vorfahren entwickelten sich in kleinen Gruppen, in denen Kooperation und Überzeugungskraft mindestens ebenso viel mit Fortpflanzungserfolg zu tun hatten wie das Festhalten an bestimmten Überzeugungen über die Welt. Die Eingliederung in den eigenen Stamm erforderte, sich in das ideologische Glaubenssystem der Gruppe einzureihen, unabhängig davon, ob dieses auf Wissenschaft oder Aberglauben beruhte. Die instinktive Voreingenommenheit zugunsten der „eigenen Gruppe“ und ihrer Weltanschauung ist tief in der menschlichen Psyche verwurzelt.
Das Selbstverständnis eines Menschen ist eng mit dem Status und den Überzeugungen seiner Identitätsgruppe verbunden. Es überrascht daher nicht, dass Menschen automatisch und abwehrend auf Informationen reagieren, die das Weltbild der Gruppe bedrohen, mit der sie sich identifizieren. Wir reagieren damit zu rationalisieren und Beweise selektiv zu bewerten. Das heißt, wir haben einen „Bestätigungsfehler“, indem wir Expert:innenaussagen, die uns gefallen, anerkennen und gleichzeitig Gründe finden, den Rest abzulehnen.
Unerwünschte Informationen können auch auf andere Weise bedrohlich sein. Forscher:innen, die sich mit der Systemrechtfertigung auseinandersetzen, wie der Psychologe John T. Jost, haben gezeigt, wie Situationen, die als Bedrohung für etablierte Systeme wahrgenommen werden, unflexibles Denken auslösen. Zum Beispiel haben sich Bevölkerungsgruppen, die wirtschaftliche Not oder eine Aggression von außen erleben, oft an autoritäre Führer:innen gewandt, die Sicherheit und Stabilität versprachen.
In ideologisch aufgeladenen Situationen beeinträchtigen die eigenen Vorurteile letztendlich die eigene Tatsachenwahrnehmung. Wenn man sich über seine kulturelle Zugehörigkeit definiert, die mit einem bestimmten sozialen und/oder kulturellen Status quo verbunden ist, können Informationen, die das eigene Glaubenssystem bedrohen – etwa über die negativen Auswirkungen der Industrieproduktion auf die Umwelt – das Identitätsgefühl selbst bedrohen. Wenn dann Regierungsmitglieder, denen man vertraut, oder parteiische Medien erklären, die COVID-19-Krise werde übertrieben dargestellt, dann können sich anderslautende Informationen über einen wissenschaftlichen Konsens wie ein persönlicher Angriff anfühlen.
Das Ignorieren von Fakten findet überall statt
Diese Art von affektgeladenem motivierten Denken erklärt in einer Vielzahl von Fällen, warum Menschen trotz erdrückender Beweislast historische Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse nicht anerkennen. Finanzieren sich Steuersenkungen über ein höheres Wirtschaftswachstum selbst? Haben Gemeinden mit einer hohen Zahl an Einwanderer:innen höhere Raten von Gewaltverbrechen? Hat sich Russland in die US-Präsidentschaftswahl 2016 eingemischt? Es ist absehbar, dass Expert:innenmeinungen zu solchen Fragen von parteiischen Medien so behandelt werden, als seien die Beweise selbst von Natur aus parteiisch.
Es gibt vielfältige Phänomene des Leugnens, aber die Geschichte dahinter ist letztlich ganz einfach. Die menschliche Wahrnehmung ist untrennbar mit den unbewussten emotionalen Reaktionen verbunden, die mit ihr einhergehen. Unter geeigneten Bedingungen verbinden sich universelle menschliche Eigenschaften wie Begünstigung der eigenen Gruppe, Existenzangst und der Wunsch nach Stabilität und Kontrolle zu einer schädlichen, das System rechtfertigenden Identitätspolitik.
Wer wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet, den überzeugen Fakten auch nicht, weil es in erster Linie gar nicht um Fakten geht. Dieses Leugnen ist ein Ausdruck von Identität – in der Regel, weil man seinen sozialen und wirtschaftlichen Status quo bedroht sieht – und sie zeigt sich typischerweise als Reaktion auf Botschaften der „Elite“.
Ich wäre sehr überrascht, wenn Anthony Fauci sich tatsächlich nicht bewusst wäre, welchen entscheidenden Einfluss die Politik auf die Haltung gegenüber COVID-19 hat. Oder welche Signale von den Erklärungen republikanischer Regierungsvertreter:innen ausgehen, wenn Parteimitglieder sich weigern, im Kongress Masken zu tragen, oder von der Trump-Kundgebung in Tulsa.
Die effektive Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist von entscheidender Bedeutung, da parteiische Botschaften tiefgreifende Auswirkungen auf die Haltung der Öffentlichkeit haben können. Impfungen, Ressourcenknappheit, Klima und COVID-19 sind Fragen von Leben und Tod. Um sie erfolgreich anzugehen, dürfen wir nicht ignorieren, was die Wissenschaft uns über das Leugnen von wissenschaftlichen Tatsachen zeigt.
The Conversation
Adrian Bardon ist Professor für Philosophie an der Wake Forest University, einer privaten Universität im US-Bundesstaat North Carolina. Er unterrichtet dort Philosophie in Zusammenhang mit Wissenschaft, Psychologie, Politik und Religion. Kürzlich veröffentlichte Bardon das Buch „The Truth About Denial: Bias and Self-Deception in Science, Politics, and Religion“ (Die Wahrheit über Verleugnung: Voreingenommenheit und Selbsttäuschung in Wissenschaft, Politik und Religion) (Oxford Univ. Press 2020).
Dieser Artikel ist zuerst in englischer Sprache bei The Conversation erschienen.

Übersetzung: Vera Fröhlich; Redaktion: Belinda Grasnick; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Rico Grimm; Audioversion: Christian Melchert