„Was mich beim Lesen am meisten nervt, sind schlecht recherchierte Artikel und unreflektiertes Abschreiben“
Leben und Lieben

„Was mich beim Lesen am meisten nervt, sind schlecht recherchierte Artikel und unreflektiertes Abschreiben“

Kirsten Fiedler setzt sich in Brüssel für digitale Bürgerrechte ein. In unserer Rubrik Medienmenü verrät sie ihre Lieblingsquellen für die richtige Dosis an Information.

Profilbild von Christoph Koch

Ich merke gerade, dass ich ein Browser-Junkie bin. Morgens öffnen sich bei mir als erstes ungefähr 30 Tabs. Auf dem einen Bildschirm lese ich meine E-Mails und Nachrichten, auf dem zweiten meinen Twitter-Stream. Dazu läuft mein Soundcloud-Stream. Generell lese ich so wenig wie möglich auf kleinen Geräten und nutze lieber den großen Bildschirm im Büro. Für meinen Browser dort nutze ich das Morning Coffee Add-on. Unterwegs sind der Feedreader Feedly und der Twitter-Client Twidere wichtige Tools für mich. Im Büro und zu Hause nutze ich Tweetdeck.

Da wir uns in Brüssel für digitale Bürgerrechte einsetzen, schaue ich hier kurz nach neuen Pressemitteilungen der EU und ob bei Statewatch.org neue EU-Dokumente geleakt wurden. Danach lese ich meistens den Guardian, The Intercept und The Register. Sowie natürlich Netzpolitik.org, Spiegel Online, schaue in die 7-Tage-News auf Heise und französischsprachige Nachrichten auf Libération, Le Monde und Numerama.

Ich finde es wirklich traurig, dass rivva.de nur noch Titel listet, seitdem das Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Kraft getreten ist. Das war vorher eine wirklich gute Quelle.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wurde zum 1. August 2013 wirksam und räumt den Presseverlagen das ausschließliche Recht ein, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen – es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ob die sogenannten Snippets, also die Textausschnitte, die Suchmaschinen wie Google beispielsweise in ihre Ergebnislisten integrieren, unter das Gesetz oder unter die Ausnahme „kleinste Textausschnitte“ fallen, wurde fast ebenso lange und intensiv diskutiert wie das gesamte Gesetz.

Befürworter des Gesetzes argumentieren, die Erweiterung des Urheberrechts sei nötig, um Presseverlage an den Einnahmen zu beteiligen, die Internetportale durch das Aggregieren von journalistischen Leistungen erzielen.
Gegner des Gesetzes halten unter anderem dagegen, dass Verleger jederzeit unterbinden könnten, dass Internetportale Ausschnitte aus ihren Inhalten anzeigten. Es könne sogar die Listung beibehalten werden und nur der Vorschautext verhindert werden.

Krautreporter Stefan Niggemeier hat sich in seinem Blog mehrfach mit dem Leistungsschutzrecht befasst – ebenso wie mit dem Lobbying der Verlage dafür und der Art und Weise, wie die Verlage ihre Leser über das Thema informieren (beziehungsweise nicht informieren).

Das Gesetz im Wortlaut findet man hier als PDF, hier kann man sehen, wer dazu im Bundestag wie abgestimmt hat.

Blogs, die ich mir regelmäßig anschaue, sind Boing Boing, das Berlaymonster und in der Mittagspause Nerdcore, fefe und das Kraftfuttermischwerk. Mittags mache ich außerdem imgur.com auf und lese dann vor allem die Kommentare. Ab und zu verteile ich auch mal up- oder down-votes.

Bei vielen Themen, zum Beispiel den Diskussionen über Netzneutralität, Überwachung oder diverse Freihandelsabkommen (ACTA, TTIP), ist auch die andere Seite des Atlantiks extrem wichtig. Daher lese ich regelmäßig Techdirt, das Blog der Electronic Frontier Foundation, den Technologieteil der New York Times, ArsTechnica's Law & Disorder und Torrentfreak. Auf GlobalVoices schaue ich ab und zu nach, was in anderen Teilen der Welt passiert.

Startseite der deutschen GlobalVoices-Seite

Startseite der deutschen GlobalVoices-Seite Screenshot: globalvoicesonline.org

GlobalVoices ist ein Netzwerk aus unabhängigen Bürgerjournalisten und Blogs aus aller Welt. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei zum einen auf Autoren gelegt, die in verschiedenen Kulturen heimisch sind und so als „Übersetzer“ zwischen diesen fungieren können. Zum anderen achten die kuratierenden Redakteure nach eigenen Angaben darauf, Stimmen aus Regionen hervorzuheben, die normalerweise unterrepräsentiert sind. Global Voices wurde 2004 von Ethan Zuckerman gegründet, heute Direktor des Center for Civic Media am MIT. Seit 2007 werden ausgewählte Artikel von Global Voices in 16 Sprachen (darunter auch D_eutsch_) übersetzt. Dieser interessante Artikel von BBC News verrät mehr über das Projekt.

Außerdem habe ich noch ein digitales Abo bei der Financial Times, das ich aber nur selten nutze. Im EDRi-Büro bekommen wir die Printausgabe der European Voice und die Wired, beide versuche ich komplett durchzulesen.

Was mich beim Lesen am meisten nervt, sind schlecht recherchierte Artikel, unreflektiertes Abschreiben bei den großen Nachrichtenagenturen und die wenigen Versuche, aus der eigenen Filterblase rauszukommen. (Aber bei letzterem nehme ich mich selbst nicht aus.)

Ich benutze einen Kindle, um dort wissenschaftliche Texte und Studien zu lesen, aber auch Sachbücher und Romane. Dort markiere ich auch merkenswerte Stellen und mache mir Anmerkungen und Notizen. Ein zentrales Archiv für gelesene und verarbeitete Texte wäre wahrscheinlich eine gute Idee, habe ich aber nicht.

Auf Reisen lese ich zur Abwechslung vor allem Bücher! Zu denen komme ich nur am Wochenende und im Urlaub. Bevor es losgeht, packe ich mir meinen Kindle voll mit Empfehlungen von Freunden, um mal was ganz anderes zu lesen. Die meisten Sachbücher, die ich lese, haben irgendwas mit Menschenrechten und/oder Netzpolitik zu tun. In meiner freien Zeit lese ich dann lieber Science Fiction und Cyberpunk.

Am meisten beeindruckt haben mich in letzter Zeit „Ego“ von Frank Schirrmacher und „River of Gods“ von Ian McDonald.

Buchcover von "River of Gods"

Buchcover von "River of Gods" Simon & Schuster

Der Science-Fiction Roman „Rives of Gods“ von Ian McDonald spielt im Jahr 2047. Die Handlung folgt mehreren Charakteren und ihren Erlebnissen rund um den 100. Jahrestag der britischen Unabhängigkeit. Ein Polizist und seine Frau, ein Stand-up-Comedian und ein paar Kleinkriminelle, ein Journalist und eine Hellseherin – das Buch verwebt die Geschichten von rund zehn Haupt- und noch mehr Nebencharakteren in einer Welt, in der künstliche Intelligenz Realität geworden ist und „Krishna Cops“ sogenannte Aeais (von AI, Artificial Intelligence) jagen, die zu intelligent und menschenähnlich sind.

Der Guardian schreibt in einer Rezension: „Was die Ideen, die intellektuelle Bandbreite, den Einfallsreichtum, die Detailversessenheit und den schieren Umfang betrifft, ist McDonalds Buch das ambitionierteste, das ich seit Jahren gelesen habe. Es ist beeindruckend, einfallsreich und immer wieder überraschend. Seine Charaktere sind überzeugend und faszinierend, die Dialoge lebendig und natürlich, das Verständnis für indische Traditionen und Mentalitäten beeindruckend, die Sexszenen ungewöhnlich deftig, die politischen Verstrickungen raffiniert und glaubwürdig und das ist noch längst nicht alles. (...) Gleichzeitig ist es teuflisch schwer, dem Buch zu folgen. Von Anfang an wird der Leser in eine übervolle und komplizierte Inszenierung geworfen und erhält so gut wie keine Hilfe, wenn es darum geht, das alles zu verstehen. Obwohl McDonalds Sprache sehr klar und genau ist, wird man durch viele Details abgelenkt. Das Buch ist sehr anspruchsvolle Gesellschafts-SciFi: John Brunners „Morgenwelt“ für die digitale Generation.“

Wer möchte, kann sich durch diese sehr umfangreiche Leseprobe von „River of Gods“ selbst einen Eindruck verschaffen.

Lieblingsautoren habe ich viele: William Gibson, Isaac Asimov, Haruki Murakami, Douglas Adams, Charles Bukowski ... Eine besondere Erwähnung verdienen die Comics von Charles Burns oder Brandon Graham – „King City“ hat mich umgehauen!

Wenn ich ein bisschen Zeit habe, höre mir die Podcasts vom Pritlove an. Fern sehe fast gar nicht.

Ingesamt habe ich festgestellt, dass ich immer weniger gedruckte Zeitungen und Magazine lese. Noch vor einigen Jahren habe ich mir gerne wöchentlich die ZEIT gekauft. Seitdem ich mehr online lese, lese ich aber schneller und insgesamt mehr. Die einzige Ausnahme in dieser Bewegung zu online war das Musikmagazin de:bug, das ich mir bei Reisen nach Deutschland jedes Mal am Flughafen holte und das es jetzt leider nicht mehr als gedrucktes Magazin gibt. Sehr schade.


Kirsten Fiedler ist Managing Director bei European Digital Rights (EDRi) in Brüssel. Diese NGO vertritt 34 Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen aus insgesamt 19 europäischen Ländern und widmet sich seit 2002 dem Schutz der Freiheit der Bürger und ihrer Privatsphäre in der Informationsgesellschaft. Außerdem betreibt Kirsten Fiedler das deutsch-französische Blog „vasistas?

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In einem Vortrag auf der re:publica 2014 mit dem Titel „European Parliament: The Zombie Apokalypse“ beschreiben Kirsten Fiedler und ihr EDRi-Kollege Joe ihre Arbeit unter anderem gegen Initiativen wie ACTA oder das CleanIT und für Datenschutz und Netzneutralität.


In der von Christoph Koch betreuten Rubrik „Medienmenü“ stellen alle zwei Wochen interessante Persönlichkeiten die Medien vor, die ihr Leben prägen. Krautreporter-Unterstützer können in der Kommentarspalte rechts oder per Mail an christoph@krautreporter.de vorschlagen, wen sie gerne in dieser Rubrik porträtiert sehen würden.

Illustration:Veronika Neubauer (Foto: privat)

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